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Zukunft

Wissenschafts-Verständnis

29.3.2024

Die Wissenschaft als Ganzes betrachtet, hat es hierzulande nicht immer einfach. Vieles der wissenschaftlichen Arbeit und Forschung im akademischen Umfeld passiert im Verborgenen. Thesen werden aufgestellt, bestätigt oder verworfen, eine Fragestellung bedingt die nächste. Und so ist Wissenschaft eine ständige Weiterentwicklung von Wissen, ein nie endender Prozess, ein Ausloten von Eventualitäten, dessen Ergebnis, selbst wenn die Wahrscheinlichkeit extrem hoch ist, nie absolut sein kann. Die Crux ist: Menschen erhoffen sich und erwarten vielfach definitive Aussagen, um aus persönlichen und gesamtgesellschaftlichen Unsicherheiten herauszukommen. Wenn keiner weiß, was passiert, täte es gut, jemanden zu haben, der einem zuverlässig sagen kann, was ist.

Die Antworten, die die Wissenschaft gibt, sind allerdings nie eindeutig. Das ist das Wesen der Wissenschaft. Sie hinterfragt sich laufend selbst, reagiert auf neue Erkenntnisse und Datenlagen und ist sohin immer eine Momentaufnahme. In der Regel passiert dies alles abseits der Öffentlichkeit, während der Coronapandemie fand dieser Prozess quasi in Echtzeit vor den Augen aller statt und in einer Geschwindigkeit, die eine absolute Ausnahmesituation darstellte. Das führte zu einem etwas verzerrten Bild davon, wie Wissenschaft eigentlich funktioniert, und auch dazu, dass ihr Menschen vermehrt kritisch bis ablehnend gegenüberstanden.

Wissenschaftsskeptiker indes gab es natürlich schon vor der Pandemie. Das ist per se nichts Schlechtes. Schlägt diese Skepsis jedoch in Verweigerung um, die jeden Diskurs verunmöglicht, wird es schwierig. „Natürlich finden sich in einer offenen, von einer Vielfalt an Meinungen und Anschauungen geprägten Gesellschaft zu jeder Frage abweichende Stimmen, und so werden, wo es um konkrete Projekte geht, unweigerlich nicht nur einzelne Forschungsvorhaben, sondern auch verschiedene Wissenschaftszweige und schließlich sogar die Bedeutung von Forschung und Wissenschaft insgesamt unterschiedlich bewertet und beurteilt werden. Selbst jene Haltung, die die moderne Wissenschaft vor allem in Gestalt der Naturwissenschaften, sowie ihre Anwendung und Umsetzung in Medizin und Technik, grundsätzlich für einen lebensfeindlichen Irrweg hält, ist nicht gänzlich unbekannt und beschwert manch esoterischer Geschäftsidee sichere Einnahmen“, schreibt Dr. Ulrich Metschl vom Institut für Philosophie an der Universität Innsbruck in seinem Buch „Vom Wert der Wissenschaft und vom Nutzen der Forschung“, erschienen 2016 im Springer Verlag. Er beschäftigt sich vor allem mit dem Thema der Skepsis innerhalb der Wissenschaft, aber auch jene die Wissenschaft betreffend. Wir haben ihn an seinem Institut besucht.

eco.nova: Skepsis ist in der Wissenschaft Bestandteil der Methode. Bedingt diese Skepsis innerhalb der Wissenschaft selbst auch jene ihr gegenüber?

Ulrich Metschl: Ich glaube, das ist eine falsche Wahrnehmung. Wenn man verstanden hat, wie Wissenschaft intern funktioniert, kann man nicht so leicht auf die Idee kommen, dieses Verfahren grundsätzlich in Frage zu stellen. Stellt man eine wissenschaftliche Behauptung auf, muss man seine These gründlich geprüft haben und ausreichend hieb- und stichfeste Belege und Evidenzen vorweisen können. Wissenschaft sollte gerade deshalb Vertrauen genießen, weil sie zu ständiger kritischer Prüfung verpflichtet ist.

In ihrem Buch schreiben Sie unter anderem: „Als Haltung existieren sowohl die radikale Ablehnung wie die teils fröhlich bekennende Ignoranz gerade gegenüber der modernen Naturwissenschaft.“ Laut einer Eurobarometer-Umfrage vom November 2021 ist in Österreich das Interesse an Wissenschaft im internationalen Vergleich besonders niedrig. Warum?

Das Problem ist, dass man eigentlich gar nicht so genau weiß, was in dieser Studie konkret erhoben wurde. Es ist also schwer zu sagen, was von diesen Ergebnissen tatsächlich zu halten ist. Ich denke, dass die Befürchtung, die österreichische Bevölkerung wäre generell besonders weit von der Wissenschaft entfernt, stark medial getrieben wurde. Überhaupt sollten wir uns eher Gedanken darüber machen, warum gerade manche politischen Strömungen auf einem sehr eigenartigen Fuß mit Forschung und Wissenschaft stehen, anstatt eine allgemeine Wissenschaftsskepsis zu diagnostizieren, die so vermutlich gar nicht existiert.

In der Wissenschaft gibt es kein klares Ja oder Nein. Hat es der Mensch verlernt, Unwägbarkeiten auszuhalten? Oder hat er es gar nie gekonnt?

Ich neige ein bisschen dazu, dass er es nie wirklich gekonnt hat. Und in Zeiten, in denen die Unsicherheiten zunehmen, wird es umso schwieriger. Vor allem, wenn diese Unsicherheiten uns Verhaltensveränderungen abverlangen, wie etwa der Klimawandel. Wir bekommen nicht gerne gesagt, dass wir unser Leben ändern müssen. Während der Pandemie war das sehr stark zu spüren. Für den Einzelnen und vor allem für das Kollektiv ist es ein Problem, nicht zu wissen, wie man damit auf möglichst konstruktive Weise umgeht. Für die Wissenschaft ist das weniger problematisch, weil sie es gewohnt ist. Wissenschaftliche Methode erreicht nicht das Schaffen von Gewissheiten, sondern die rationale, vernünftige Beherrschung von Ungewissheit.

In unserer Gesellschaft scheinen immer mehr die Graustufen und Buntheiten verloren zu gehen. Es scheint fast nur mehr Schwarz und Weiß zu geben. Wie bekommt man diese Entwicklung wieder aufgelöst?

Das ist eine gute Frage, allerdings keine, die die Wissenschaft zu beantworten versuchen sollte. Vielmehr ist es eine gesellschaftliche und letztlich politische Aufgabe, dieser Polarisierung etwas entgegenzusetzen. Sozialwissenschaften können Kenntnisse und Einsichten bereitstellen und damit dazu beitragen, dass die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihres gesamten, also auch wissenschaftlichen Kenntnisstandes kluge und informierte Entscheidungen trifft. Insgesamt sollten wir uns aber davor hüten, eine Expertokratie zu verlangen. Das wäre gerade verkehrt. Wissenschaftliche Institutionen haben eine beratende Funktion, wenn sie gefragt werden, aber sie sollten keine Entscheidungen treffen oder gar eine Gesellschaft steuern.

Inwieweit schadet die teils offen zur Schau gestellte Anzweiflung wissenschaftlicher Erkenntnisse und die öffentliche Diskreditierung, unabhängig davon, von welcher Seite sie kommt?

Man sollte die Wissenschaft nicht bedingungslos anbeten. Es ist gut, dass eine demokratische Öffentlichkeit kritisch mit ihr umgeht. Die Wissenschaft hinterfragt sich laufend selbst, also hat auch die Öffentlichkeit ein Recht dazu. Und sie hat ein Recht dazu, sich dagegen zu verwehren, dass jede wissenschaftliche Erkenntnis einer Aufforderung gleichkommt, daraus bestimmte Maßnahmen oder Handlungen abzuleiten. Aber wir können durchaus verlangen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse anerkannt und nicht auf teils wirklich schmutzige Weise diskreditiert werden. Das ist schädlich – nicht nur für die Wissenschaft, sondern für die Gesellschaft als Ganzes. Wenn an einer Forschung Beteiligte massivem Druck und persönlicher Kritik ausgesetzt werden, ist das eine Form des Umgangs, die schwer hinzunehmen ist und die sich eine einigermaßen informierte Öffentlichkeit nicht gefallen lassen sollte.

Warum wenden sich immer wieder Menschen vom breiten Konsens ab und glauben stattdessen eher teils wirklich wahnwitzigen Einzelmeinungen? Wie kommt man auf die Idee, dass 100 Expert*innen irren, wahlweise auch „gekauft“ sind, aber genau dieser eine nicht – der bei genauerer Betrachtung vermutlich günstiger zu bestechen wäre.

Das hängt vielleicht ein bisschen mit dem Punkt des Nicht-aushalten-Könnens von Ungewissheiten zusammen. Man sucht sich einen Anker, der das eigene Weltbild gut zusammen- und festhält. Auf diese Weise vermeidet man, sich in eine gewisse Offenheit begeben zu müssen, die vielfach mit Unbehagen verbunden ist. Das führt in manchen Fällen allerdings dazu, dass folglich weitere Positionen unstimmig werden. Ein Beispiel: Es gibt nach wie vor Menschen, die der Meinung sind, die Erde wäre eine Scheibe. Das ist an sich nicht weiter schlimm, schadet ja so weit keinem. Denkt man allerdings weiter, lassen sich in der Folge aber auch andere Phänomene nicht mehr erklären. Wir wissen zum Beispiel, dass sich Wirbelstürme auf der Nordhalbkugel in die entgegengesetzte Richtung drehen als auf dem südlichen Teil. Das ist ein Grund, weshalb Wirbelstürme nie den Äquator überqueren. Wenn Sie aber glauben, die Erde wäre eine Scheibe, kann man für dieses Phänomen keine Erklärung mehr anbieten. Oder nur eine völlig willkürliche. Sie werden an einem bestimmten Punkt inkohärent, was manchmal derart behoben wird, dass man die Wissenschaft generell als gekauft und lügnerisch darstellt. Das hilft in der Sache aber auch nicht weiter. Dass Menschen in manchen Belangen zu derart irrationalen Haltungen neigen, ist bedauerlich. Vielleicht würde mehr Verständnis und Sinn für Wissenschaft dem tatsächlich etwas entgegenwirken können, verlassen würde ich mich darauf allerdings nicht.


Interview: Marina Bernardi
Fotos: Andreas Friedle

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