Die Digitalisierung hat die Arbeitswelt verändert und tut es weiterhin in rasanter Geschwindigkeit. Neue Technologien und das Aufkommen Künstlicher Intelligenz stellen vor allem das Bildungssystem vor Herausforderungen, weil es nicht nur von den aktuell bereits Lehrenden neue, digitale Kompetenzen einfordert, sondern naturgemäß auch die Ausbildung künftiger Lehrkräfte beeinflusst.
Die Pädagogische Hochschule (PH) Tirol bildet eben jene zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer aus. Neben dem bereits bestehenden berufsbildenden Lehramtstudium „Information und Kommunikation – Angewandte Digitalisierung“ wird es ab Herbst den Hochschullehrgang „Künstliche Intelligenz im IT-Unterricht der Berufsbildung“ für Lehrer*innen an berufsbildenden Schulen geben. Lehrgangsleiterin Gerlinde Schwabl ist maßgeblich an der Entwicklung des Lehrgangs beteiligt, der unter anderem das Verständnis von Zusammenhängen zwischen digitalen Innovationen und wirtschaftlichen Veränderungen sowie die Auswirkungen von KI-Technologien auf die Wirtschaft und den Bildungsbereich unter Einbeziehung ethischer und rechtlicher Herausforderungen und Fragestellungen analysieren soll. Gemeinsam mit Patrick Pallhuber ist Schwabl Dozierende am Institut für Berufspädagogik. Wir haben die beiden an der PH Tirol zum Gespräch getroffen.
eco.nova: Wie schätzen Sie den Status quo in Bezug auf das Wissen und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei derzeit lehrenden Pädagog*innen in Tirol ein?
Gerlinde Schwabl: Wie immer, wenn es Veränderungen gibt, gibt es grob gesagt zwei Gruppen von Menschen: Die Early Adopters, die voranpreschen und von Anfang an mit dabei sind, und jene, die mit den neuen Entwicklungen vorerst gar nichts zu tun haben wollen, weil sie das Gefühl haben, nicht davon betroffen zu sein. So verhält es sich auch bei den Pädagog*innen. Wir merken allerdings, dass angebotene Weiterbildungen zum Thema Künstliche Intelligenz sehr gut angenommen werden. Die Notwendigkeit, sich damit auseinanderzusetzen, wird also zunehmend erkannt.
Die Digitalisierung hat die Arbeitswelt und unser gesamtes Leben in einer wohl nie dagewesenen Rasanz verändert. Der technologische Fortschritt schreitet nicht linear, sondern exponentiell voran. Wie geht man in der Ausbildung insbesondere im Bereich der Berufsbildung damit um?
Patrick Pallhuber: Es ist tatsächlich die große Herausforderung gerade in der Berufsbildung im Kontext der so genannten Curriculum-Theorie, also der wissenschaftlichen Theorie hinter der Entwicklung von Lehrplänen, die Frage zu lösen, wie Curricula mit den gesellschaftlichen Änderungen halbwegs Schritt halten können. Berufsbilder und Tätigkeitsfelder ändern sich real derart schnell, dass wir mit den Lehrplänen immer hinterherhinken. Lehrerinnen und Lehrer sind deshalb besonders gefordert, die aktuellen Lehrpläne anders und neu zu interpretieren und sich gleichzeitig selbst neue Kompetenzen anzueignen. Jene, die aktuell zu Themen wie Künstlicher Intelligenz unterrichten, haben diesen Fokus in ihrer Ausbildung nie selbst erlebt. Das gilt es, nachzuholen, sich anwendungsorientierte Kompetenzen aufzubauen, den Umgang mit KI selbst zu erproben und diese Erkenntnisse für jene zu übersetzen, die vor einem in der Klasse sitzen.
Aktuell scheinen junge Menschen, die mit diesen Technologien aufgewachsen sind, mehr Ahnung davon zu haben als ihre Lehrer*innen oder Eltern. Auf der anderen Seite scheint ihnen jedoch ganz viel Hintergrundwissen dazu zu fehlen.
Gerlinde Schwabl: Das stellen wir auch fest. Man denkt immer, die so genannten Digital Natives können den Umgang mit digitalen Medien fast automatisch. Das Problem ist, dass es in all diesen Anwendungen vor allem um easy use geht. Fast all diese Anwendungen sind einfach zu handhaben, der Zugang ist niederschwellig, aber keiner macht sich tatsächlich über die Inhalte Gedanken oder darüber, wie die Anwendungen funktionieren und was dahintersteckt. Die jungen Menschen wischen und wischen und wischen über ihre Smartphones und benutzen Apps, ohne sich mit den dahinterliegenden Prozessen auseinanderzusetzen.
Patrick Pallhuber: Gerade weil ihnen dieses Verständnis fehlt, können sie oft auch die ethischen Perspektiven nicht einordnen. Das zeigt sich manchmal sogar bei den Lehrerinnen und Lehrern, die ein neues Tool entdecken und einsetzen, sich aber die Didaktik dahinter nicht überlegen oder den sinnvollen methodischen Einsatz. Es geht in solchen Fällen um Toolerism, also darum, möglichst viele Tools einzusetzen, über deren Sinnhaftigkeit macht man sich allerdings keine Gedanken. Das ist ein Problem. Gerade auch in Bezug auf Social Media sind junge Menschen – und übrigens nicht nur die – oft sehr unreflektiert. Uns geht es an der PH Tirol darum, einen konstruktiv-kritischen Umgang mit KI und Medien im Allgemeinen zu vermitteln. Beides haben viele Jugendlichen nicht. Weder einen konstruktiven noch einen kritischen Umgang. Sie haben einfach einen Umgang. GS: Diesen konstruktiv-kritischen Umgang müssen wir unseren Studierenden als auch den Lehrenden an den Schulen mitgeben. Die Usability, die technische Nutzerfreundlichkeit, vieler Tools ist hoch, deshalb werden sie genutzt. Was beim Einsatz textgenerativer KI, die in der Bildung vor allem relevant ist, aber tatsächlich passiert, wer die KI mit welchen Inhalten füttert, was mit unseren Daten passiert, damit beschäftigt sich kaum jemand. Und wenn sich schon unsere Studierenden damit schwertun, die erwachsen sind und auf Lehramt studieren, wie sollen das Kinder hinkriegen?
Fehlt es jungen Menschen an Medienkompetenz?
Gerlinde Schwabl: Ja, und genau darum geht es. Medienkompetenz hat es im Grunde immer schon gebraucht, mit dem Aufkommen der KI hat diese nun allerdings ganz neue Dimensionen bekommen. Durch technische Hilfsmittel sollten wir eigentlich eine kognitive Entlastung erfahren, am Ende hat man allerdings viel mehr Informationen, die es zu verarbeiten gilt. Neben Medien- geht es also auch ganz stark um Begründungskompetenz. Man muss die Schüler*innen sensibilisieren und eine entsprechende KI-Kultur entwickeln.
Patrick Pallhuber: Wir müssen lernen, Inhalte und Ergebnisse – egal, ob sie von einer KI oder der geistigen Leistung eines Menschen kommen – kritisch zu bewerten und einzuordnen. Dieses Verständnis gilt es, zu entwickeln. Das ist ein Prozess, der sich nicht von heute auf morgen entwickeln wird. Es braucht dafür mit Sicherheit neue Kompetenzen, Grundlagenwissen und die vermehrte Arbeit mit Originalquellen wie Fachliteratur und die Fähigkeit zur Quellenkritik, die von den Curricula nicht verschwinden darf.
Hat man früher die Zeitung gelesen oder Nachrichten im Fernsehen geschaut, hat man diese Informationen als gegeben hingenommen. Heute wird jede Meldung hinterfragt, jede noch so seriöse Quelle kritisch beäugt. Wir sind quasi permanent damit beschäftigt, alles zu hinterfragen.
Gerlinde Schwabl: Das stimmt, was aber ist die Alternative? Mittels KI kann heute derart vieles gefakt werden. Das macht es nicht einfacher, Inhalte auf ihre Seriosität hin zu bewerten. Hier sind wir wieder bei der Medienkompetenz und Quellenarbeit. Das ist sicher anstrengender, als es früher war, aber unumgänglich. PP: KI hat viele gute Seiten und kann den Arbeitsalltag sehr erleichtern. Sie liefert für manche Einsatzbereiche inhaltlich gute Ansatzpunkte. Für bestimmte Gebiete ist textgenerative KI durchaus gut geeignet. Im Lernverlauf sehe ich sie allerdings kritisch. GS: Am Ende muss man jedes KI-generierte Produkt zu seinem eigenen machen und darf ihm nicht blind vertrauen. Die KI ist ein digitaler Helfer, für das Ergebnis ist man jedoch selbst verantwortlich. Das müssen wir unseren Studierenden mitgeben. Den Einsatz von KI an Schulen zu verbieten, halte ich deshalb für wenig sinnvoll, weil wir lernen müssen, damit umzugehen und klug damit zu arbeiten. Unsere Studierenden brauchen die Fachkompetenz, KI-generierte Inhalte entsprechend zu bewerten und einzuordnen.
Welche Rolle wird der Mensch in einer immer digitaler getriebenen (Arbeits-)Welt künftig spielen?
Patrick Pallhuber: Es braucht jemanden, der die Maschine mit Input füttert, und jemanden, der beurteilt, was diese ausspuckt. Die menschlich-geistige Leistung wird es also immer brauchen, nur ist sie anders verteilt.
Gerlinde Schwabl: KI kann eine Chance sein, wenn man jene Tools findet, die für einen sinnvoll sind. Es braucht allerdings ein entsprechendes Bewusstsein dafür. Heute nutzt man KI vielfach, um das Leben zu vereinfachen. Das ist an sich nichts Schlechtes, wenn man die Technik zielgerichtet einsetzt. Dennoch muss man die dahinterliegenden Prozesse, Besitzverhältnisse der Hersteller*innen, Datenqualität und vieles mehr kennen und verstehen.
Wie verändert die KI die Arbeit für Hochschulen?
Patrick Pallhuber: Die Herausforderung für Hochschulen wird es künftig sein, die Aufgabenstellungen für die Überprüfung von Kompetenzen anzupassen. Die klassische Wissensabfrage-Klausur wird es nicht mehr brauchen. Es benötigt andere Aufgabenstellungen. Das heißt auch, Abschlussarbeiten anders zu betreuen, als Betreuer engmaschiger mit den Studierenden in Kontakt zu sein, sich inhaltlich mit dem Thema zu beschäftigen, um die Studierenden herauszufordern, ihnen konkrete Fragen zu stellen, was ihre eigenen Erkenntnisse aus all den Informationen sind. Sonst läuft man Gefahr, vor einer Arbeit zu sitzen, der komplett die Eigenständigkeit fehlt. Als Betreuer kann ich folglich zum Sherlock Holmes der KI-Suche werden und mich darüber ärgern, dass sich jemand unerlaubt der KI bedient hat, oder ich gestalte meine Aufgabenstellung um und suche vermehrt den persönlichen Austausch. Das eröffnet vielleicht sogar die Chance, im Idealfall näher am Menschen zu sein, weil die Arbeit an sich so nahe an der Maschine ist. Für mündliche Prüfungen könnte man Formate finden, in die man die KI integriert, sich in der Livesituation Wissen aus der KI holt und diese Ergebnisse bewertet.
Gerlinde Schwabl: Wir haben vergangenen Oktober eine Leitlinie zur Verwendung textgenerativer KI an der PH Tirol herausgegeben, die unseren Lehrenden genau solche Formate ermöglicht. Unterm Strich geht es darum, KI-kompetente Pädagog*innen auf den Arbeitsmarkt zu bringen. Wir können uns also vor der KI in der eigenen Lehre nicht verschließen. Aber: kritisch-reflektiert. Am Ende muss man den Umgang damit lernen, um ihn lehren zu können.
Interview: Marina Bernardi