Man kann in vielen Erdgegenden Leitungswasser entweder gar nicht trinken oder zumindest nicht genießen, weil es gechlort oder sonstwie vorbehandelt werden muss, oder schlimmer noch, es gibt überhaupt keinen Zugang zu gesundheitlich unbedenklichem Trinkwasser. In Tirol ist das fundamental anders. Dabei haben wir es einer Verkettung glücklicher Umstände zu verdanken, dass die Tirol*innen in ihrer Heimat auf einem reichen Wasserschatz sitzen. Einer, der zudem überwiegend aus Quellwasser besteht und nicht aus Grundwasser. 90 Prozent des in Tirol als Trinkwasser genutzten Wassers stammt aus Quellen, lediglich zehn Prozent aus Brunnen bzw. dem Grundwasser. Österreichweit wird das Wasser dagegen zu 55 Prozent aus Brunnen und zu 45 Prozent aus Quellen gewonnen. Dieser Wasserschatz „ist ein großer Segen für das Land und alle Menschen, die hier leben“, legte es Stefan Wildt, seines Zeichens Leiter des Bereichs Siedlungswasserwirtschaft in der Abteilung Wasserwirtschaft des Landes Tirol, im Perspektiventalk der Lebensraum Tirol Holding zunächst einmal grundsätzlich an. Wildt attestiert dem heimischen Trinkwasser einen „auch im internationalen Vergleich hohen Standard.“
Wasser wird im Kontext des sich beschleunigenden Klimawandels aber nicht nur als lebensnotwendiger Segen, sondern immer öfter auch unter dem Gefahrenaspekt diskutiert, anhand zweier Extreme, einmal als Hochwasser oder aber als drohender Wassermangel. Manfred Kleidorfer, Studiendekan der Fakultät für Technische Wissenschaften und Professor für Nachhaltige Entwicklung urbaner Wasserinfrastruktur an der Uni Innsbruck, ordnet diese Debatte so ein: „Die Klimaprognosen zeigen, dass sich aufgrund des Klimawandels die zeitliche Verteilung des Niederschlags übers Jahr hinweg verändert. Das Volumen bleibt ähnlich, aber Starkregenereignisse nehmen genauso zu wie längere Trockenperioden, in denen es gar nicht regnet. Das ist auch in den Messdaten schon beobachtbar. Diese Situation ist nicht ideal, weil zum einen Überflutungsgefahr besteht, aber auch, weil bei Starkregenereignissen weniger Wasser versickert und dadurch auch die Grundwasserneubildung beeinträchtigt ist. Zusätzlich kommt es durch den Klimawandel zu einer höheren Verdunstung. Es kann also zukünftig selbst bei gleichbleibendem Niederschlag zu Dürren kommen, die es heute so nicht gibt.“ Österreichweit sieht Kleidorfer die Wasserressourcen zwar tendenziell zurückgehen, das Land im Gebirg davon aber nur am Rande betroffen. „In Tirol ist dieses Problem sicher wesentlich geringer als in Ostösterreich. Es ist auch zukünftig nicht mit ernsthaften Problemen in der Trinkwasserversorgung zu rechnen, soweit das heute abschätzbar ist.“ Das bedeute freilich nicht, dass einzelne Regionen im Land zukünftig nicht doch vermehrt mit Engpässen zu rechnen haben. „Das lässt sich allerdings technisch lösen, indem man die Wasserleitungsnetze stärker zusammenschließt“, so Kleidorfer, der Tirol vor allem beim Trinkwasser in einer privilegierten Ausgangslage sieht. Problematischer sei dagegen das Grundwasser, das in der Landwirtschaft für die Bewässerung gebraucht werde. „Wird immer mehr entnommen, kann das auch einmal einen Grundwasserleiter unter Druck setzen.“ Nachsatz: „Für Tirol bin ich diesbezüglich aber nicht ganz pessimistisch.“
Manfred Kleidorfer beschäftigt sich wissenschaftlich unter anderem mit städtischen Räumen. Dabei geht es viel um Kühlmaßnahmen und Vegetation, konkret darum, wie die grüne und blaue Infrastruktur dabei unterstützen können, die urbanen Räume auch während Hitzewellen lebenswert zu halten. „Hat die grüne Infrastruktur in trockenen Phasen kein Wasser, kann sie nichts verdunsten und folglich auch nicht kühlen“, gibt der Forscher zu bedenken. Er mahnt daher auch eine „Änderung der üblichen Planungsweisen“ an. Hier sieht der Experte sämtliche Stakeholder, darunter auch die Stadtplanung, gefordert. Und zwar dahingehend, dass der grünen Infrastruktur genügend Raum gegeben wird, um ihre Wirkung entfalten zu können. Es geht dabei um Räume, um Grund und Boden, der bekanntermaßen vor allem in den Ballungsräumen sehr teuer geworden ist. Ein gutes Zusammenspiel zwischen blauer und grüner Infrastruktur schlägt sich aber wiederum in einer höheren Lebensqualität nieder, und zwar gerade dann, wenn Hitzewellen kommen. „Grüne Inseln statt Hitzeinseln“ könnte die Formel lauten.
Tirols Wasserreichtum ist auch dafür verantwortlich, dass mit dem lebenswichtigen Nass nicht immer sparsam umgegangen wird. Dazu bestand vor allem in der Vergangenheit kaum eine Notwendigkeit. Hierzulande wird für die meisten Dinge Trinkwasser verwendet. „Das müsste eigentlich nicht so sein“, ortet Kleidorfer diesbezüglich beträchtliches Sparpotenzial. Es könnte eine kluge Lösung sein, vermehrt auf die Nutzung von Regenwasser zu setzen. Das hat mehrere Gründe: Wird Regenwasser direkt versickert oder gespeichert, anstatt in die Kanalisation eingeleitet zu werden, hilft das auch bei Überflutungsgefahr. Werden ausreichend Speicherkapazitäten für Regenwasser geschaffen, können diese bei Starkregenereignissen eine Pufferfunktion übernehmen. Die Entwässerung geeigneter Dachflächen kann außerdem dazu beitragen, die grüne Infrastruktur zu versorgen.
Gute Infrastruktur
Im Gegensatz zur Trinkwasserversorgung ist die Aufbereitung der Abwässer zentraler organisiert. Hier stehen tirolweit rund 50 Anlagen zur Verfügung. Dem stehen fast 800 öffentliche Wasserversorgungsanlagen gegenüber. Gewachsene Strukturen, die Stefan Wildt vor allem topografisch begründet sieht. Für das Land habe es in dieser Hinsicht in der Vergangenheit keine Handlungsnotwendigkeit gegeben. Es ist nicht gesagt, dass das so bleiben wird. Wasser wird zukünftig vermutlich vermehrt gemeindeübergreifend zu denken sein, konkret etwa durch die Bildung von Wasserversorgungsverbänden, analog zu den Abwasserverbänden, die es schon heute gibt. Für etwaige Zusammenschlüsse von Leitungsnetzen wird, wie von Manfred Kleidorfer angedeutet, zukünftig wohl der Klimawandel sorgen, der die Schüttung der Quellen nicht einheitlich beeinträchtigt und sich bei der einen Quelle mehr, bei der anderen weniger auswirken dürfte.
Überalterte und schlecht gewartete Trinkwasserleitungsnetze führen indes zu Wasserverlusten. In Österreich ist man diesbezüglich aber nicht schlecht aufgestellt. Zur Berechnung dieser Wasserverluste werde meistens das eingespeiste Wasser dem letztendlich verkauften gegenübergestellt. Dabei bleiben Laufbrunnen, in denen der Wasserverlust beabsichtigt ist, normalerweise unberücksichtigt. „Die Investitionsbereitschaft in die Infrastruktur, in Wasserleitungen und Kanalnetze könnte aber durchaus höher sein“, sagt Kleidorfer, der im nächsten Atemzug abschwächend hinzufügt: „Die Situation ist aber längst nicht katastrophal, es gibt Länder, in denen es wesentlich schlechter aussieht.“ Allerdings dürfe man das Thema nicht aus den Augen verlieren.
In Innsbruck wurde im April 2022 damit begonnen, die Mühlauer Quelle, seit 70 Jahren das Rückgrat der Innsbrucker Trinkwasserversorgung, zu sanieren und zu erweitern. Ein Jahr später stieß die erste Erkundungsbohrung auf zusätzliches Quellwasser. Bis zum Projektabschluss Ende des Jahres sollen bis zu 350 Liter pro Sekunde zusätzlich aus dem Berg sprudeln und so die Versorgungssicherheit in der Landeshauptstadt auch in Zukunft gewährleisten. Investiert wird aber nicht allerorten gleich. „Die Gemeinden sind bekanntlich knapp bei Kasse, und es wird da und dort womöglich einen Investitionsstau geben“, vermutet Kleidorfer, der die Infrastruktur in Tirol aber insgesamt durchaus auf einem zufriedenstellenden Standard sieht. „Die Erlöse aus Wasser- und Abwassergebühren werden wohl nicht überall reinvestiert. Wäre das der Fall, wären wir in einer noch besseren Situation“, meint der Experte. Auch Stefan Wildt sieht die Betreiber – meist Gemeinden, teils auch Genossenschaften – gefordert, ein wachsames Auge auf die Schüttung der Quellen zu haben und zeitgerecht in die Erneuerung der Infrastruktur zu investieren, um auch zukünftig Versorgungsengpässe zu vermeiden.
Emotionaler Wirtschaftskraftstoff
Wasser ist auch ein emotional besetztes Thema. Das konstante und beruhigende Rauschen der Gebirgsbäche, die durch Tirols Täler fließen, das Gurgeln und Glucksen des Quellwassers dort, wo es dem Berg entspringt, sind Eindrücke, die in Tirol Normalität sind. Das Land im Gebirg ist privilegiert, was seinen (Wasser-)Reichtum anbelangt. Es gibt in Tirol rund 10.800 erfasste Quellen, die das Rückgrat der Trinkwasserversorgung bilden sowie Tirols Wirtschaft antreiben. Wasser hat noch eine andere ökonomische Dimension, wird es doch zur Energieerzeugung genutzt. Zum einen in der Energiewirtschaft, ganz wesentlich aber auch in der Industrie. Heutige Global Player haben sich dort angesiedelt, wo es genügend Wasser bzw. Wasserkraft gab, ob das nun Swarovski am Wattenbach in Wattens gewesen ist oder Paul Schwarzkopf am Plansee.
Die Wasserkraft spielt auch bei der Energiewende eine gewichtige Rolle, dennoch ist sie umstritten wie nie zuvor. Genehmigungsverfahren können sich jahrzehntelang hinziehen, die Gesellschaft ist gespalten. Wasserkraft im großen Stil – sprich Pumpspeicherkraftwerke – ist zunehmend schwierig umsetzbar, obwohl sie notwendig wäre. Die Vision Tirols als grüne Batterie der Alpen hat einen Kurzschluss. Immerhin gibt es auch noch ein gewisses Potenzial bei Trinkwasserkraftwerken, das sich vergleichsweise leichter anzapfen lässt. Das erste dieser Art ging in Tirol bereits 1902 in Betrieb, heute gibt es rund 90 davon im Land. Das mit Abstand größte ist jenes bei Mühlau in Innsbruck. Grundvoraussetzungen sind Wasser und Gefälle bzw. ein gewisser Wasserdruck, der über eine Turbine abgearbeitet werden kann.
Genügend Reserven
Tirol ist auch in Sachen Wassernutzung glücklicherweise noch nicht am Anschlag, wurden doch erst vor einigen Jahren 55 Großquellen – als solche gelten Quellen mit einer Schüttung von mehr als 20 Litern pro Sekunde – erfasst, die miteinander eine Mindestschüttung von 4.000 Litern pro Sekunde aufweisen. Das würde genügen, um damit theoretisch bis zu zwei Millionen Menschen mit Trinkwasser versorgen zu können. Derzeit werden mit 30 erst etwas mehr als die Hälfte dieser 55 Quellen zur Trinkwasserversorgung genutzt. Ein Schutz- oder Schongebiet gibt es allerdings nur für 19 dieser Großquellen.
In einem Bericht der Wasser Tirol – Wasserdienstleistungs-GmbH aus dem Jahr 2020 wird festgehalten, „dass sich ein aufgrund verminderter Grundwasserneubildung durch Klimawandel häufig befürchteter Rückgang von Quellschüttungen bis dato nur bei sehr wenigen Quellen klar abzeichnen“ könnte. Und selbst bei diesen könne man als Ursache Infrastrukturmaßnahmen anstelle von Einflüssen des Klimawandels nicht ausschließen. Anders ist die Sache bei Temperaturen und der elektrischen Leitfähigkeit gelagert, die als Sammelparameter für die Hydrochemie gilt. Bei diesen Parametern seien „klimatische Einflüsse hingegen bei einer Vielzahl an Quellen klar erkennbar – damit bestätigen sich auch bei den Quelltemperaturen Trends, welche bei Luft-, Oberflächenwasser- und Grundwassertemperatur schon vielfach wissenschaftlich behandelt wurden“. Der Klimawandel macht auch Tirols Quellen wärmer. Jedenfalls sollte Tirol ein wachsames Auge auf seinen Wasserschatz haben, denn es „ist auch nicht ausgeschlossen, dass in manchen Gebieten zukünftig Änderungen des Schüttungsverhaltens auftreten können“. Im Bericht werden folgende Maßnahmen angemahnt: „Vor dem Hintergrund steigenden Nutzungsdrucks auf die vorhandenen Wasserressourcen, der sich aus dem Bevölkerungswachstum, steigendem Tourismus, zunehmendem Bedarf an Wasser für die Landwirtschaft etc. ergibt, sowie den Prognosemodellen in Bezug auf die klimatische Entwicklung, kommt der genauen Kenntnis und der Sicherung strategisch wichtiger Wasserressourcen als Grundlage einer gesicherten zukünftigen Wasserversorgung in jedem Fall eine essentielle Stellung zu. Um für diese Entwicklungen gerüstet zu sein und auch in Notsituationen über wirksame Instrumente einer gesicherten Wasserversorgung zu verfügen und damit bestmöglich agieren und nicht nur reagieren zu können, erscheinen längerfristige, vorausschauende Maßnahmen erforderlich.“ Dazu zählen aus Sicht der Autoren eine vertiefte Ressourcenerkundung, die Abschätzung des langfristigen Bedarfs ebenso wie die Entwicklung nachhaltiger Nutzungskonzepte, Schutz und Sicherung der strategisch wichtigen Wasserressourcen sowie nicht zuletzt eine entsprechende Bewusstseinsschaffung. Aus heutiger Sicht ist in Tirol die Welt noch in Ordnung, wenn es ums Wasser geht. Damit das auch so bleibt, werden alle Beteiligten landauf, landab ihre Hausaufgaben erledigen und auch die Verbraucher*innen zu einem noch bewussteren Umgang mit dem lebensnotwendigen Stoff finden müssen.
Text: Marian Kröll