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Life

Subkultur

28.2.2025

Schon ein kurzer Blick auf die zahlreichen Skandale und Skandälchen, die sich in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit der sogenannten „Hochkultur“ ereignet haben, legt die Vermutung nahe, dass die Hackln dort tiefer fliegen als in der sogenannten Subkultur. Das könnte damit zusammenhängen, dass die Hochkultur hoch subventioniert ist, es in ihr um viel mehr, meist öffentliches Geld und damit verbunden Macht geht als in der Subkultur, die per definitionem kleinere Brötchen backt.

Rolf Schwendter, der als „Devianzforscher“ von der Norm abweichendes Verhalten untersuchte, hat bereits Anfang der 1970er-Jahre eine Subkulturtheorie vorgelegt. Er hat darin festgehalten, dass all jene, die von außen stigmatisierend als Anpassungsverweigerer, als subversive Elemente, eben als Subkultur bezeichnet werden, nicht etwa ein homogenes Ganzes bilden, sondern ganz unterschiedliche Subkulturen, die vor allem eines eint: die Auflehnung gegen das so genannte Establishment. Folgt man Schwendters Definition, ist die Subkultur „Teil einer konkreten Gesellschaft, der sich in seinen Institutionen, Bräuchen, Werkzeugen, Normen, Werteordnungssystemen, Präferenzen, Bedürfnissen usw. in einem wesentlichen Ausmaß von den herrschenden Institutionen etc. der jeweiligen Gesellschaft unterscheidet“. Subkultur ist also eine Alternativ- oder Gegenkultur, die anders sein will als die Mehrheitsgesellschaft, wiewohl diese freilich auch nicht homogen ist, sondern selbst eine Abstraktion. Darüber hinaus unterscheidet Schwendter zwischen progressiven und regressiven Subkulturen und innerhalb dieser wieder in rationalistische und emotionale sowie freiwillige und unfreiwillige.

Die lateinische Vorsilbe sub- bedeutet bekanntermaßen „unter“, deshalb könnte man die Subkultur auch als unterhalb der „Gesamtkultur“ angeordnet deuten. Rolf Schwendter tut das, wenn er anmerkt, „sub“ werde nicht nur mit „unter“, sondern auch mit „niedriger als“ übersetzt, und folgenden Schluss daraus zieht: „Somit stellt sich Subkultur als Kultur der beherrschten Klassen dar.“ Subkultur könnte man aber auch als das interpretieren, was unter der Oberfläche der verkrusteten Mainstreamkultur brodelt, sich unregelmäßig eruptiv Bahn bricht, um dann wiederum im Mainstream zu erstarren. Subkultur ist per definition nicht mehrheitsfähig.

From Sidewalk to Catwalk

Jede Subkultur kann durch den gesellschaftlichen Wandel irgendwann unter- oder vielmehr im Mainstream aufgehen. So ist es etwa den Hipstern ergangen. So mancher innerhalb einer Subkultur entstandene Kleidungsstil hat sich von seinem ursprünglichen Kontext emanzipiert und ist, wie der amerikanische Anthropologe Ted Polhemus einmal festgestellt hat, „from sidewalk to catwalk“ je nach Standpunkt auf- oder abgestiegen. Die heutige, von Algorithmen befeuerte Hyperindividualisierung, die die Gesellschaft in immer kleinere Gruppen zerstäubt, bedroht allerdings nicht nur den Mainstream, sondern auch die Subkulturen, die in Vor-Internet-Zeiten klarer erkennbar und stabiler gewesen sind als heute. Dazu kommt, dass der Mainstream die in immer schnellerem Takt entstehenden – und wieder vergehenden – subkulturellen Strömungen in rasendem Tempo absorbiert und monetarisiert. Das gilt nicht nur für die über Kleidung vermittelte Zugehörigkeit zu einer Subkultur, sondern auch für ihren jeweiligen Jargon. „Den unzähligen Nischenkulturen, die vor allem online entstehen und vergehen, fehlt das subversive Element. Sie teilen oft eher ein loses ‚Look and Feel‘ als ein Werte-Set, eine politische Haltung oder auch nur einen bestimmten Lebensstil“, beschreibt Zukunftsforscherin Lena Papasabbas die heutige Partikularisierung der Subkulturen. „Die Subkultur war immer ein Gegenmodell zur Mehrheitsgesellschaft. Sie braucht den Mainstream, um sich von ihm abzugrenzen. Mit dem Schwinden des Mainstreams verlieren daher auch die Subkulturen an Substanz.“

Vielfalt statt Einfalt

Tirol isch lei oans. Hört man immer wieder. Das stimmt nicht. Tirol ist auch in seiner modernen Interpretation und Selbstdarstellung weit mehr als – die aus dem bayrischen Raum entlehnte Formulierung – Laptop und Lederhose. Klischee, olé! Gerade die Landeshauptstadt bemüht sich seit Jahren um ein betont alpin-urbanes Image, das allerdings nicht ohne die Subkultur(en) auskommen kann, die gerade urbane Räume erst vielfältig machen und ein erfrischendes Gegenprogramm zur geistig-kulturellen Monokultur des Mainstreams darstellen. Das alpine Motiv steuern die felsigen Gebirge seit jeher zum Nulltarif bei, kulturelle Vielfalt, die zum Flair des Urbanen beitragen kann, ist dagegen kein Selbstläufer. Doch wie lässt sich diese Vielfalt abbilden und archivieren?

Subkultur hat in Innsbruck gewissermaßen Tradition. Ihr widmet sich seit zehn Jahren sogar ein eigenes Archiv, das in überwiegend freiwilliger Arbeit von Musikjournalist, Plattensammler und DJ Albi Dornauer, Kultur- und Sozialarbeiter Maurice Kumar und dem im Hintergrund wirkenden Elmar Schaber aufgebaut wurde. Trägerverein des Sub(kultur)archivs zur lokalen Alternativ-, Sub- und Gegenkulturgeschichte Innsbrucks und darüber hinaus ist der Verein ARCHIVE-IT. Der Name darf durchaus als Appell gewertet werden, physische und digitale Objekte zum Archiv beizutragen, um den professionell kuratierten musealen Sammlungen etwas entgegenzusetzen. Eine – oder gleich mehrere – alternative Erzählungen von der Vergangenheit sozusagen. Geschichte, heißt es, werde von den Siegern geschrieben. Das ist nicht unplausibel. Genauso seien, wie Maurice Kumar festhält, „Sammlungen immer ein Ausdruck von Macht- und Herrschaftsverhältnissen“. Was sammlungswürdig ist, bestimmen normalerweise Profis nach gewissen Kriterien, die sich irgendwann herauskristallisiert haben. Das Sub(kultur)archiv maßt sich dagegen nicht an, das für die Nachwelt Aufbewahrungswürdige vom Minderwertigen zu scheiden. „Uns geht es nicht um gut oder schlecht, richtig oder falsch“, sagt Kumar. „Meine persönliche Motivation war es immer, die offizielle Stadtgeschichte bzw. -geschichtsschreibung mit Gegenerzählungen zu kontrastieren. Das Stadtarchiv Innsbruck hat mittlerweile erkannt, dass unser Archiv eine gute Ergänzung sein kann.“ So gab es 2017 eine gemeinsame Ausstellung von Stadt- und Sub(kultur)archiv, die mit dem Tiroler Museumspreis ausgezeichnet wurde. Das Stadtarchiv hat dem Sub(kultur)archiv in der Folge auch dadurch unter die Arme gegriffen, indem Raum zur Lagerung der Museumsobjekte zur Verfügung gestellt wurde.

„Die toteste aller toten Hosen“

Der Subkulturbegriff sei nach dessen Hochphase in den 1970er-Jahren zwar nicht verschwunden, werde heute aber deutlich weniger gebraucht als damals, meint Kumar. Er ist aus der Mode gekommen und wirkt heute selbst ein wenig antiquiert. „Manche behaupten zwar, der Begriff würde gegenwärtig eine Renaissance erfahren. Das kann ich aber so nicht bestätigen. Als Archivare haben wir uns den Begriff angeeignet, weil wir historisch einen Fokus legen wollten auf Gruppen, Bewegungen und Orte, die sich explizit in Abgrenzung zur herrschenden Kultur verstanden haben. Subkultur ist für uns ein Arbeitsbegriff, wir sind besonders für alles sensibilisiert, das progressiv-verändernd wirken will.“ Dem Subkulturbegriff der ARCHIVE-IT-Protagonisten ist also ein emanzipatorisches, progressives Moment eingewebt. „Wir sammeln aber auch Objekte von Leuten, die sich selbst gar keiner Subkultur zurechnen würden, zum Beispiel das Tiroler Autorinnen- und Autorenkollektiv.“

Das Innsbrucker Sub(kultur)archiv spielt heute bewusst mit dem Begriff, indem die Kultur in Klammern gesetzt wird. „Wir verstehen uns ausdrücklich als Subarchiv, das unterhalb der offiziellen Archive angesiedelt ist.“ Natürlich gibt es nicht nur progressive Bewegungen, sondern auch regressive. „Es gibt auch rechte subkulturelle Bewegungen, gerade in Innsbruck gab es in den 1990ern eine große White-Power- und Skinhead-Szene. Aus unserer eigenen Haltung heraus wollen wir das nicht primär sammeln, uns ist aber die historische Relevanz dieser Bewegung durchaus bewusst, die man kontextualisieren muss. Würden Objekte aus dieser Zeit und Bewegung an uns herangetragen, so würde ich es für wichtig halten, dass diese auch gesammelt werden. Es stellt sich also nicht die Frage, ob so etwas auch gesammelt werden soll, sondern wo.“ Andernfalls würde man dasselbe selektive Sammeln reproduzieren, das man offiziellen Archiven zur Last legt. „Subkultur“, meint Kumar, „muss nicht zwangsläufig subversiv sein.“

Eine besonders konservative geistige Landschaft, wie es sie in Tirol gegeben hat – manche würden mit der Formulierung wohl eher in der Gegenwart bleiben – bringt aber allem Anschein nach die subversiven Säfte zum Fließen. Noch Anfang der 1970er-Jahre sei Innsbruck, befand der deutsche Student Henner Kröper, die „toteste aller toten Hosen“ gewesen. Während in der Bundesrepublik die Künstler fast durchwegs links-progressiv gewesen sind, hat Kröper, der später in Innsbruck einen Jazzclub eröffnete, hier zu seinem Erstaunen festgestellt, dass selbst die Künstler*innen konservativ gewesen sind. Dazu kommt, dass sich früher, anders als in der Gegenwart, selbst das studentische Protestpotenzial für konservative Anliegen entladen hat.

Subkultur ist überall

Subkultur findet nicht nur in städtischen Räumen statt, sondern auch am Land. Denn überall dort, wo es besonders reaktionär zugeht, schlägt die Stunde der Gegenkultur. „Wir waren ursprünglich sehr auf die Stadt fokussiert, es gibt aber gerade auch am Land in ganz Tirol zahlreiche Initiativen, die in den erweiterten Kontext der Subkultur passen. Subkultur ist eben nicht nur ein städtisches Phänomen“, sagt Maurice Kumar, der sich mit seinen Mitstreitern bemüht, Subkulturen in ihrer ganzen Breite zu erfassen. „Die Subkultur ist auch eine Sphäre, in der man sich bewusst Dingen aussetzen kann, die nicht unbedingt mit dem eigenen Weltbild im Einklang stehen“, sagt der Kulturarbeiter. Das fördert die Toleranz und steigert die Akzeptanz Anderstickender. Die Politik hat sich mittlerweile offenbar mit dem Gedanken angefreundet, dass Subkultur nicht ganz unwichtig sein könnte. „Politische Kampagnen gegen ein Kulturzentrum, wie es sie früher gab, sind heute so nicht mehr denkbar“, hofft Maurice Kumar. Ein ernsthaftes politisches Bekenntnis zu Orten der Subkultur vermisst Kumar freilich bis heute.

Die subkulturelle Ausstattung urbaner Räume ist auch ein touristisches Zugpferd. Was wäre Innsbruck ohne seine berüchtigte Bogenmeile, selbst wenn diese bei Licht betrachtet schon vor Jahren – genauso wie die Clubszene im Ganzen – notleidend geworden ist? Hofburg, Haus der Musik, Schwarze Mander, Goldenes Dachl, Hadid-Bauwerke? Nice to have, kulturell zweifellos hochwertig, aber eindeutig zu wenig, um den hartnäckigen Mief des Provinziellen glaubhaft zu verblasen und Weltoffenheit anzudeuten. Subkultur braucht Orte, an denen sie zur Entfaltung kommen kann. Es sind dies Orte, die werden und wieder vergehen. Wobei die Vermutung, dass Innsbruck seinen subkulturellen Zenit vorerst überschritten hat, nicht allzu gewagt ist. „Neben finanziell schwierigen Zeiten ist es auch die kulturkritische Stimmung, die mit genervten Nachbarn beginnt und bei Behörden endet, die den Betrieb erschweren können“, schrieb Kumar vor einiger Zeit in der Stadtzeitung 20er. Das Veranstaltungszentrum Hafen sperrte nach der Jahrtausendwende ebenso zu wie der Weekender Club, jüngst folgten der Club Dachsbau, der Club Cubique und das Early Bird. Die Liste ließe sich problemlos fortsetzen. Immerhin wurden nicht, wie es früher üblich war, über Nacht die Schlösser ausgetauscht. Einst wurde aus dem Umfeld der Volkspartei polemisiert, dass Innsbruck – auf das gleichnamige Kulturzentrum gemünzt – nicht „Hafenstadt“ werden dürfe. Dieses Ziel hat man erreicht. Der Hafen ist längst Geschichte. Es gibt in der Landeshauptstadt jedoch auch hart erkämpfte Erfolgsgeschichten wie die p.m.k., deren Geschichte untrennbar mit einer Hausbesetzung verknüpft ist.

Innsbruck erweist sich generell als schwieriges Pflaster für die Subkultur. „Trotz der schwierigen Bedingungen bietet Innsbruck aber einiges“, sagt Kumar, der den Aufstieg und Fall der Kulturorte als „Wellenbewegung“ begreift. Nach dieser Lesart dürfte derzeit die Talsohle angesagt sein. Die Subkultur ist allerdings nicht nur räumlich bedroht, sondern als gesellschaftliches Phänomen gesamthaft. Albi Dornauer und Maurice Kumar werden jedenfalls weiterhin daran arbeiten, dass die Subkultur, wenn sie schon – aufgrund der fortschreitenden Partikularisierung der Subkulturen – keine Zukunft haben sollte, zumindest eine gut dokumentierte Vergangenheit hat.

Text: Marian Kröll
Fotos: Marian Kröll, Daniel Jarosch

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