Wenn mich jemand fragt, dann bezeichne ich mich am ehesten als Influencerin“, sagt Renée, die ihren zahlreichen Followern auf diversen Kanälen von Instagram über YouTube bis hin zur Livestreaming-Plattform Twitch vor allem unter ihrem Nickname „Veyla“ bekannt ist. Dabei muss die 24-jährige Innsbruckerin selbst verlegen lachen, ist ihr doch der Influencer-Beruf oder vielmehr das, was in der Öffentlichkeit gemeinhin damit assoziiert wird, fast ein wenig peinlich. „Influencer ist so ein neumodischer Beruf, den viele gar nicht als Beruf ansehen“, erklärt Renée. Deshalb bezeichnet sie sich auch lieber als Content Creator, als jemand, der Content, sprich Inhalte, für die digitalen Medien produziert. In ihrem Fall sind das meistens Videos, auf denen sie sich beim Gamen filmt. Damit kann man tatsächlich Geld verdienen? Ja, man kann. Aber bis man es dorthin geschafft hat, ist es ein weiter und steiniger Weg. Garantien gibt es keine. „Auf Twitch stehe ich kurz vor 100 K, auf TikTok sind es 50 K, auf Instagram ungefähr 20 K und auf YouTube sind es 30 K“, zählt Veyla ihre Anhängerschaft, wobei das kapitale K natürlich für Kilo, sprich Tausend, steht. Popularität steigend.
Sie hat als Streamerin ihren Durchbruch auf Twitch geschafft. Heute sehen ihr dort regelmäßig sehr viele Menschen zu, wenn sie den Ego-Shooter „Call of Duty“ zockt, eines der größten Game-Franchises aller Zeiten. Oder wenn sie auf Videos anderer Content Creators reagiert. Das klingt erst einmal nach einem etwas unorthodoxen Schreibtischjob. Manchmal arbeitet sie aber auch draußen, in der echten Welt.
DAS MODERNERE FERNSEHEN
Veyla macht nämlich auch sogenannte IRL-Streams. IRL heißt „In Real Life“ und ist eine Art von Livestreaming, bei dem die Zuschauer ihre Lieblingsstreamer in einer realen Umgebung außerhalb ihrer Desktop-Streams sehen können. „Ich habe kürzlich einen IRL-Stream gemacht, als ich eine Ruine besichtigt habe“, erzählt Renée. Technologisch möglich werden derartige Streams mittels speziellem Rucksack, der alle Gadgets enthält, um Bild und Ton in ho- her Qualität live ins Internet übertragen zu können. Nur einmal, im Wald beim Schwammerlsuchen, hat Renée das Glück – oder vielmehr der Handyempfang – verlassen, und mit dem Streamen war vorzeitig Ende im Gelände. Den IRL-Streaming-Rucksack stellt ihr eine bekannte thailändisch-österreichi- sche Energydrink-Marke zur Verfügung: Red Bull, das in Sachen Marketing bekanntlich immer am Puls der Zeit oder dieser sogar ein wenig voraus ist. Veyla ist gerade dabei, ihren Brand, ihre Marke auf breitere Beine zu stellen und sich neben dem Gaming wei- tere Standbeine zu schaffen.
Was ihre Follower konkret daran faszinieren mag, ihr beim Zocken oder Reagieren zuzusehen, weiß Renée selbst nicht ganz so genau. „Keine Ahnung“, sagt sie, zuckt kurz mit den Achseln und erzählt: „Wenn ich am Kochen, Wäschewaschen oder Putzen bin, habe ich die Kopfhörer auf und höre zu, was die Leute so zu sagen haben. Streaming ist – besonders mit speziellen Liveevents – irgendwie wie Fernsehen, nur viel moderner.“ Damit ist wohl auch schon der Kern des Pudels freigelegt. Der Mensch ist nun einmal ein soziales Wesen, das sich gerne berie- seln lässt, früher mit Radio, dann mit dem Fernsehen und heute halt auch mit jenem Content, der speziell fürs Internet gemacht ist. „Streamen ist das moderne, interaktive Fernsehen. So erkläre ich das meiner Mama immer“, sagt Renée, die schon während ih- rer Schulzeit daheim aufgrund ihres Video- spielkonsums erhöhten Erklärungsbedarf gehabt hatte.
Veyla wusste schon während ihrer Schul- zeit, dass sie irgendwann Streamerin werden wollte. Geübt, sprich gezockt, hat sie damals überwiegend bis spät in die Nacht hinein. Richtig ernsthaft mit dem Streaming begonnen hat sie 2018, nimmt damals erste YouTube-Videos auf und baut sich Step by Step eine treue Anhängerschaft auf. Be- wusst entscheidet sie sich für Googles bzw. Alphabets Plattform, weil dort Streaming vom Algorithmus gepusht, das heißt bevor- zugt, wird. „Es war deshalb auch leichter, dort zu den ersten 50 Followern zu kommen. Mein Traum war es, auf Twitch zu streamen, aber dort ist es sehr schwierig, von null zu beginnen“, erklärt Renée, die von Beginn an sehr strategisch und klug an ihrer Influencer-Karriere gebastelt hat. Nebenher hat sie halbtags gearbeitet, Regale bei einem Lebensmittelhändler eingeräumt, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen und ihren Traum, vom Streamen leben zu können, am Leben zu halten. Als sie mit ihren ersten 50 treuen Followern von YouTube zu Twitch übersiedelt, kommt ihr die Coronaviruspandemie beruflich gerade recht. Die Leute ver- brachten während der Lockdowns sehr viel Zeit zu Hause und konsumierten Netzinhalte. Streamingdienste können davon profitieren. Nach einem Semester bricht Renée ihr an- gefangenes Studium Englisch und Biologie
ab und geht mit dem Streaming All-In. Sie gibt sich neben ihrem Halbtagsjob ein Jahr lang Zeit, um den Durchbruch zu schaffen. Das Motto heißt „Go pro“, Scheitern ist eine sehr realistische Option. Doch Veyla hat es geschafft, sie ist groß geworden, wurde von Red Bull unter die Fittiche genommen und hat ein eigenes, auf Influencer spezialisiertes Management, das sich um ihre diversen On- und Offline-Gigs kümmert.
Influencer zu sein, bedeutet in erster Li- nie, Inhalte zu produzieren, die unterhaltsam sind. Hinter dem, was als unbeschwerter Jux und Gaude gestreamt wird, steckt eine Menge harte Arbeit. Renée kennt sich mit ihrem Equipment aus, um mit dem immer höher werdenden Production Value des im Netz gestreamten Contents mithalten zu können. Sie ist Technikerin, Kamera- und Tonfrau sowie Moderatorin in Personalunion. Zur Authentizität gehört für Renée auch, dass sie deutsch spricht, die dialektale Färbung mit dem für Innsbruck typischen, deutlich hörbaren „kch“ hat sie abgelegt. Das soll so bleiben. Darüber hinaus ist alles, was Veyla in ihren Streams sagt und tut, völlig spontan und nichts gescripted.
INTERAKTIVES KÜRBIS-SCHNITZEN & CO.
Veyla macht auch gemeinsam mit anderen Protagonisten ihrer Zunft spaßige Dinge. „Das Interaktive mit anderen Streamern gefällt den Zuschauern“, weiß sie. Zu Halloween streamte sie mit einem befreundeten Streamer und ein paar anderen Freunden ein Special, bei dem sie mit einer irgendwo zwischen Atze Schröder und jungem Herbert „Schneckerl“ Prohaska angesiedelten Gedächtnisperücke furchtlos an einem Kür- bis herumschnitzt, großen Smalltalk macht und dabei doch irgendwie erfrischend authentisch wirkt.
Im Zocker-Alter-Ego Veyla stecke ganz viel Renée drin, versichert Renée. „Ich würde von mir selbst behaupten, dass ich im Stream genauso bin wie privat“, sagt sie, im sel- ben Atemzug hinzufügend, „meine Freunde sehen das teilweise anders.“ Es könnte gut sein, dass Renée alias Veyla online tougher ist als im echten Leben. In den Untiefen des Internets wimmelt es von fragwürdigen Charakteren mit zweifelhaften Absichten. Meistens sind das Männer, nicht selten von der Gattung Incel. Frauen, die professionell Computerspielen, werden schnell zur Ziel- scheibe dieser toxischen Männlichkeit mit übergroßen und zugleich fragilen Egos wie Luftballons. „Wenn ich online beleidigt wer- de, dann beleidige ich schon auch einmal zurück“, sagt Renée, der Gleichberechtigung und Offenheit wichtige Werte sind, zu deren Verteidigung sie verbal ausrückt, wenn es ihr angebracht scheint. Sexismus gehört in die- ser Männerdomäne wohl zum Berufsrisiko.
In Zukunft wird die junge Frau wahrscheinlich der Nordkette den Rücken kehren und von einem neuen Lebensmittelpunkt aus – Salzburg ist derzeit in der Favoritenrolle – die Streamingwelt weiter aufmischen und neuen, frischen Content produzieren. „Von Salzburg aus bin ich schneller in Wien bei meinen Streamerkollegen und auch in nur zwei Stunden bei meiner Familie hier in Innsbruck“, sagt Veyla, die zudem die Nähe zu Deutschland und zur Red-Bull-Zentrale als Standortvorteile Salzburgs anführt. Um unabhängiger und mobiler zu sein, steht derzeit gerade die Führerscheinprüfung vor der Tür. Einen Hauch von Traum- job hat Renées Betätigungsfeld trotz aller Widrigkeiten dennoch. Games zocken und dabei auch noch Geld verdienen, das würde vermutlich vielen jungen Menschen ganz gut gefallen. Veyla lebt ihren Traum, der ohne ihre Beharrlichkeit und harte, konsequente Arbeit wohl bald ausgeträumt wäre.
Text: Marian Kröll