Die Anzeichen eines Abschwungs nehmen zu. Chinas Erholung von den strengen Lockdowns lässt zu wünschen übrig. Zwar zeigen die dortigen Binnenfaktoren steil bergauf, doch jüngste Einkaufsmanager-Indizes deuteten auf eine Kontraktion im Produktionsbereich hin. Auslandsaufträge setzen immer mehr aus, was darauf hindeutet, dass im Westen immer mehr Unternehmen ihre Lieferketten neu aufstellen. Auch der Wohnbaubereich bleibt schwach und die Jugendarbeitslosigkeit erreichte im März mit 19,6 Prozent den zweithöchsten Wert seit Beginn der Aufzeichnungen. Das BIP-Wachstum lag in China im ersten Quartal nur noch bei 4,5 Prozent (weit unter alten Wachstumsraten von sechs bis neun Prozent) und der Rohstoffnachfrageschub aus China blieb bis dato aus. Während im Zuge der Lieferkettenentspannung im März Chinas Exporte noch kurz um 14,8 Prozent stiegen, waren die Importe noch immer um 1,4 Prozent rückläufig.
Als Gegenprobe brachen die Ausfuhren der Exportnation Deutschland nach China um 9,3 Prozent ein. Bei den deutschen US-Exporten lag das Minus sogar bei 10,9 Prozent verglichen mit nur 6,2 Prozent in die anderen EU-Länder. In der EU hat sich beispielsweise das BIP-Wachstum vom dritten Quartal 2022 bis zum ersten Quartal 2023 auf 1,3 Prozent halbiert. Deutschland weist bereits mit –0,1 Prozent ein leicht negatives Wachstum auf.
Hinzu kommt die Bankenkrise in den USA, wo heuer bereits zwei Großbanken mit einer Bilanzsumme von über 200 Milliarden US-Dollar in Schieflage gerieten, darunter die Medienberichten zufolge „zweitgrößte Bankenpleite der US-Geschichte“, nämlich die First Republic Bank, die an JPMorgan notverkauft wurde. Im März kam es in der Schweiz zur „Notübernahme“ der Credit Suisse durch die UBS, die von der Schweizer Nationalbank im Hintergrund mit bis zu über 200 Milliarden Franken unterstützt wird. Vor allem die hohen Kursverluste von Anleihen (infolge gestiegener Leitzinsen) in den Portfolios der Banken sind Risikofaktoren. Benötigen Banken zur Auszahlung von Einlagen Liquidität, müssen sie Anleihen mit Verlust verkaufen und Eigenkapital wird vernichtet, während das Kapitalaufnahmepotenzial sich am freien Markt in engen Grenzen hält.
Je mehr Banken in Schieflage geraten, desto vorsichtiger agieren die anderen Kreditinstitute. Am Interbankenmarkt steigen die Risikoaufschläge, die Bereitschaft der Banken, sich gegenseitig Geld zu leihen, sinkt. Die Folge: Die Kreditvergabe der einzelnen Banken wird restriktiver, was sich wiederum negativ auf die Realwirtschaft auswirkt. Somit hat eine Bankenkrise infolge einer Kreditklemme ähnliche Wirkung wie eine Leitzinsanhebung.
Krisenfeste Branchen
Während hohe Investitionen in Betrieben und private Autokäufe genauso wie Bauprojekte verschoben und auf Konsumentenseite teurer Konsum weitgehend vermieden werden, konzentriert sich der Bedarf auf das Notwendigste: Auf Nahrungsmittel, Getränke, Wasser, Müllabfuhr, Strom und Medikamente kann nicht verzichtet werden. Ausgaben für diverse Ramschwaren im Modebereich und unüberlegte Ausgaben für ungesundes Essen und unnötige Fernreisen hingegen können gestrichen werden. Somit lässt sich bereits intuitiv erahnen, was eine empirische Untersuchung von HQ Trust tatsächlich ergab: Diese untersuchte die Mehrrenditen von 17 Industrien zum Marktschnitt und zwar vor, während und nach den elf Rezessionen, die das National Bureau of Economic Research seit dem Jahr 1951 bestimmt hat. Da manche Einbrüche wie die „Covid-Rezession“ sehr kurz waren, zeigen die Experten bei der Auswertung die Outperformance pro Monat. Dazu Pascal Kielkopf, Analyst bei HQ Trust: „Die drei besten Sektoren während einer Rezession lieferten auch schon in den sechs Monaten davor eine Mehrrendite. Am besten durch die vergangenen Rezessionen kamen Aktien aus dem Bereich Einzelhandel. Sie schnitten in neun von elf Rezessionen besser ab als der Durchschnitt der 17 Industrien. Im Mittel lag die Mehrrendite bei 1,44 Prozentpunkten pro Monat. Eine deutliche Outperformance bescherten Anlegern in der Vergangenheit auch die Sektoren Lebensmittel sowie Medikamente, Seife, Parfüm und Tabak. Auch sie erzielten in neun von elf Fällen eine Outperformance.“
Dazu gibt es klare Rezessionsverlierer. Die größten kommentiert Kielkopf dabei wie folgt: „Am schlechtesten schnitten Aktien aus der Stahlbranche während Rezessionen ab. Sie lagen nur in zwei von elf Rezessionen über dem Schnitt der anderen Sektoren. Die Underperformance betrug immerhin 1,26 Prozent pro Monat.“ Die nächstgrößten Verlierer sind die Branchen Transport sowie Erdöl und Erdölprodukte. Bereits sechs Monate vor der Rezession, also im Abschwung zu schwächeln beginnen neben Stahl der Bereich Textilien, Bekleidung und Schuhe, Automobile, Maschinen und Betriebsausstattung sowie langlebige Konsumgüter.
Achtung: Mit einem neuen Aufschwung ändert sich die Branchenrotation allerdings, was Kielkopf wie folgt skizziert: „Nach dem Ende der Rezession wechselten die Favoriten: Textilien, Bekleidung und Schuhe erreichten in den sechs Monaten nach einer Rezession in zehn von elf ausgewerteten Zeiträumen eine Mehrrendite. Dahinter folgen die Sektoren Bergbau und Mineralien sowie Automobile.“
Kritische Betrachtungen
HQ Trust hatte einen Untersuchungszeitraum von Jänner 1951 bis Juni 2022. Das hat den Vorteil repräsentativer Auswertungen, aber den Nachteil, dass manche wesentlichen Änderungen der heutigen Zeit in den Durchschnitten zu kurz kommen könnten, nämlich der ESG-Faktor und die staatliche Benachteiligung sogenannter „kritischer Bereiche“ wie fossile Brennstoffe und Tabak. Rauchen wird weltweit von behördlicher Seite immer mehr geächtet, weshalb die Wachstumsspielräume der Tabakindustrie beschränkt sind. Auf der anderen Seite gewinnen heute erneuerbare Energien und digitale Infrastruktur (Telekom-Ausrüstung, Datenspeicher ...) eine zunehmend wichtigere Rolle.
Darüber hinaus gewinnt im Einklang mit dem Bevölkerungswachstum und der weltweit wachsenden Wirtschaft deren Infrastruktur als Grundlage an Bedeutung. Interessant ist deshalb ein Blick auf die Aktien des GLIO-Index, der 153 Listed-Infrastructure-Werte enthält und es in den vergangenen 20 Jahren bis 28. April 2023 auf eine Performance von 10,8 Prozent p.a. brachte, verglichen mit 9,1 Prozent p.a. im MSCI World
im gleichen Zeitraum. Zu den Selektionskriterien der einzelnen Unternehmen zählen hohe Eintrittsbarrieren, hohe Kapitalinvestitionen oder Regulierung, vorhersehbare Cashflows durch Regulierung, stabile Langfristverträge und dominierende Marktposition. Die enthaltenen Unternehmen müssen mindestens 75 Prozent der EBITDA in den Bereichen Transport und Speicherung von Energie, Kommunikationsinfrastruktur, Transport, Erneuerbare Energie oder regulierte Versorgungs-Netzwerke erzielen.
Die richtige Aktienauswahl
Um tatsächlich ein einigermaßen wetterfestes Aktiendepot zusammenstellen, ist in den vielversprechenden Branchen generell eine Aktienselektion erforderlich. Unserer Tipps:
• Die Titel sollten ein hohes Maß an Dividenden- und Ertragskontinuität in Form einer nachweislich erfolgreichen Historie über langjährige Zeiträume bieten. Ein Beispiel wären US-Dividendenaristokraten, die in der Lage waren, in den vergangenen 25 Jahren ihre Dividenden zu steigern. Allerdings sollten auch in den vergangenen fünf Jahren solide Erträge, wenn möglich mit wachsender Tendenz, erwirtschaftet worden sein.
• Die Dividenden sollten langfristig entweder durch Gewinne oder zumindest den Free Cash Flow gedeckt sein.
• Das Unternehmen sollte über hohe Eigenmittel und einen niedrigen Verschuldungsgrad verfügen: Gerade jetzt könnten hohe Zinskosten ein Gamechanger im negativen Sinne sein. Umso wichtiger ist eine solide Eigenmittelausstattung.
• Von Vorteil ist eine weltweit führende Marktposition oder infolge starker Marken eine hohe Pricing-Power, um bei Inflationsweitergabe an Kunden viel Spielraum wegen hoher Kundentreue und/oder eines Mangels an Alternativen zu haben.
• Hohe relative Stärke bzw. starkes Momentum des Aktienkurses gerade in schlechten Zeiten.
Text: Michael Kordovsky