Der Begriff „Hausmannskost“ lässt einem nicht gerade das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ihm haftet etwas Angestaubtes, Altbackenes an. Und er soll auch nicht insinuieren, dass das Kochen zu Hause zu irgendeiner Zeit einmal Männersache gewesen sei. Es handelt sich vielmehr, wie das Deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm Auskunft gibt, bei der Hausmannskost um „Nahrung, wie sie ein Hausvater gewöhnlich für sich und die Seinigen bereiten lässt.“ Man(n) lässt also kochen.
Das mag zwar heute stellenweise immer noch so sein, aber insgesamt hat sich der Männeranteil, der sich in der Küche kulinarisch betätigt, sicher erhöht. In Frankreich trennte man im 19. Jahrhundert streng zwischen der „La Cuisine de Ménage“ – der Hausmannskost – und der ausgefeilteren „La Grande Cuisine“, der „großen Kochkunst“. Doch die Hausmannskost im Allgemeinen und traditionelle Rezepte der Tiroler Küche im Speziellen sind nicht nur geschmacklich weit besser als ihr etwas lädierter Ruf, sondern auch ernährungsphysiologisch vielfach nicht verkehrt. Das weiß die Diätologin, Gesundheitswissenschaftlerin, Köchin, Touristikkauffrau und Autorin Angelika Kirchmaier nur zu gut. Sie hat sich unter anderem in der Recherche zu ihrem Kochbuch „Xunde Tiroler Küche“ intensiv mit derselben befasst und hält fest: „Bei der ursprünglichen Tiroler Küche handelt es sich um eine sehr gesunde Küche.“ Da haben wir’s. Das liegt auch daran, dass sie keine Küche des Überflusses gewesen ist.
Alte Kost, gesunde Kost
Den verschwenderischen Umgang mit Fleisch, Zucker, minderwertigem Fett und Weißmehl hält die Expertin in erster Linie für ein Symptom der heutigen Überflussgesellschaft. Vor allem Zucker galt früher als absolute Kostbarkeit, mit der sparsam umgegangen werden musste. „Wollte man die rund 1.000 alten, von mir im Zuge der Recherche gesammelten Rezepte nachkochen, bräuchte man in Summe nicht einmal einen Kilo Zucker. Auch Honig setzte man damals äußerst sparsam ein, war dieser doch für viele Menschen mehr Medizin als Kochzutat“, erklärt Kirchmaier.
Für den menschlichen Körper war das ein Segen und beileibe nicht der einzige. Anstelle von Weißmehl, das man damals schlichtweg nicht herstellen konnte, kam das volle Korn auf den Tisch. Kirchmaier hat beim Blick auf die alten Rezepte der Tiroler Küche also grundsätzlich eine gesunde Kost vorgefunden. Freilich gab es auch den einen oder anderen Ausreißer, etwa ein Rezept für Kinder mit „Gedeihstörungen“, das man, so die Autorin, „heute allein schon aus ernährungsmedizinischer Sicht nicht mehr anbieten würde, beispielsweise ein Säuglings-Kindsmus aus reichlich Butter und Rahm“.
Gute Fette, schlechte Fette
Die Erzählung, dass die Tiroler Küche fetttriefend sei, erweist sich bei näherer Betrachtung als ebenfalls nicht ganz richtig. „Die heutige Küche präsentiert sich vielfach als fetttriefender, die alte, ursprüngliche Tiroler Küche war das nicht unbedingt. Reichlich Fett kam nur dann zum Einsatz, wenn man die Kalorien, sprich die Energie benötigte, etwa im Sommer auf der Alm“, sagt Kirchmaier. Bekanntermaßen gibt es gerade beim Fett unterschiedliche Qualitäten, und jenes Fett, das man früher hatte, ist vielen heutigen Fetten definitiv vorzuziehen. „Früher gab es ausschließlich gesunde Fette. Dies aus einem einfachen Grund: Die intensive Masthaltung von heute kannte man damals nicht. Man fütterte die Tiere mit dem, was die Natur hergab und was bei der Herstellung von Käse anfiel. Molke für die Schweine, Gras, selbst angebautes Futter und frisches Quellwasser. Dazu durften die Tiere viel Zeit im Freien verbringen, sei es auf den Almen oder den Naturwiesen rund um den Hof. Diese Art der Haltung und Fütterung erlaubte die Produktion von sehr gesunden Fetten, die mit den heutigen billigen Fetten von Masttieren aus aller Welt nichts gemeinsam haben. Das heißt, selbst wenn man einmal etwas mehr Fett verspeiste, schadete das überhaupt nicht. Zum einen, weil man sich ausreichend bewegte, und zum anderen, weil es sich um Fette zur Gesunderhaltung handelte.“ Diese gesunden Fette gibt es auch heute noch, man findet sie etwa in heimischer Almbutter, Almkäsesorten und generell Fleisch von Tieren aus extensiv gehaltener Landwirtschaft. „Ein Almschwein überholt in Sachen Gesundheit jede Pute aus intensiver Masthaltung“, weiß die Diätologin.
Fleisch spielte in der traditionellen Tiroler Küche generell interessanterweise nur saisonal eine gewisse Rolle. „In der Zeit zwischen Frühjahr und Herbst, also in einer Zeit, in der extrem hart gearbeitet wurde, stand den Menschen früher fast kein Fleisch zur Verfügung. Zum einen, weil man es nicht konservieren konnte, und zum anderen, weil selbst Speck ungekühlt in den warmen Monaten nicht ewig hält“, weiß die Autorin und betont, dass man aus ernährungsphysiologischer Sicht Fleisch durch eine Kombination anderer Lebensmittel weitestgehend ersetzen kann. „Dieses Wissen nutzten übrigens schon die alten Tiroler, indem sie Getreideprodukte oder Kartoffeln mit Milch und/oder Ei kombinierten. Kein Wunder, dass als erste Mahlzeit vor dem morgendlichen Feldgang vielerorts ein Brei aus Milch und Getreide – das sogenannte Koch oder ‚Muas‘ – serviert wurde.“
Identitätsstiftung per Kochlöffel
Mit ihrem Buch „Tiroler Küche“ legte die 2022 verstorbene Maria Drewes wohl das diesbezüglich ultimative Standardwerk vor, das sich inzwischen über 25.000 Mal verkauft hat. Drewes bezeichnete im Vorwort die bodenständige Kost Tirols als „Teil unserer Heimat und Alltagskultur“, und dementsprechend verstand sie ihr Kochbuch auch als „Wegbegleiter und Hilfe zur Erhaltung unserer Identität“.
Kochen ist zweifellos identitätsstiftend und die Tradition althergebrachter Rezepte und Speisen eine erhebende Sache, die zusammenschweißt. Doch spricht absolut nichts dagegen, die überlieferten Rezepte weiterzuentwickeln und auf die Höhe der Zeit – vor allem was die Kochmethoden, aber auch die eine oder andere Zutat betrifft – zu bringen. Das sah auch die Autorin so. Maria Drewes: „Ich möchte mit meiner Tiroler Küche auch den Mut und die Fantasie beflügeln, die Rezepte abzuwandeln, weiterzuentwickeln und zu verbessern, damit unsere traditionelle Tiroler Küche lebendig bleibt.“ Mit der traditionellen Küche verhält es sich also wie mit der Tradition als Ganzes, sie bleibt nur lebendig, wenn sie sich entwickeln darf.
Text: Marian Kröll