Den meisten Menschen dürfte Hanf vor allem als jene Pflanze bekannt sein, aus der der psychotrope Stoff Cannabis gewonnen wird, der hierzulande dem Suchtmittelgesetz unterliegt. Manche versetzt die Pflanze in Furcht und Schrecken – zum Beispiel vor den in Österreich ebenso berühmt-berüchtigt gewordenen wie inexistenten Haschtrafiken –, andere dagegen in Euphorie. Jedenfalls ist der Anbau zwecks Suchtmittelgewinnung verboten. Es wäre aber kurzsichtig und unfair, die Pflanze – immerhin eine der ältesten Nutzpflanzen der Menschheit – pauschal zu verteufeln. Ganz im Gegenteil, Hanf hat viel zu bieten.
Davon können Karin und Michael Halbfurter, Bauersleute aus Liebe und Leidenschaft, mittlerweile ein Lied singen. Den Unterschied zwischen dem Hanf, der zur Herstellung von Haschisch oder Marihuana verwendet wird, und ihrem Nutzhanf müssen die beiden immer und immer wieder erklären. Letzterer darf einen THC-Gehalt von 0,2 Prozent nicht übersteigen und eignet sich daher nicht zur Produktion psychotroper Substanzen. Aus botanischer Sicht handelt es sich bei Nutzhanf und Marihuana um die gleiche Pflanzengattung, nämlich Cannabis sativa. Unterschiede gibt es lediglich im chemischen Profil der Pflanzen bzw. Gehalt an verschiedenen Cannabinoiden. Halbfurter darf den Samen, den er aus seiner Ernte gewinnt, nicht im nächsten Jahr wieder auf seinen Feldern aussäen, sondern muss immer wieder neues, kontrolliertes Saatgut kaufen. „Der THC-Gehalt würde nämlich wieder etwas ansteigen, wenn man mehrere Generationen der Pflanze selbst ziehen würde“, sagt Michael Halbfurter, der in Österreich immerhin aus rund 50 zugelassenen Nutzhanfsorten wählen kann. „Was man gemeinhin als Cannabis kennt, hat im Gegensatz zum Nutzhanf einen THC-Gehalt von 20 bis 25 Prozent“, weiß Karin Halbfurter, die nach wie vor Leute beruhigen und davon überzeugen muss, dass auf den Feldern der Familie nicht etwa eine Drogenplantage heranwächst.
Hanf statt Milch
Bis vor wenigen Jahren war es nicht einmal ansatzweise zur Debatte gestanden, sich von der über Generationen hindurch erfolgreich betriebenen Milchwirtschaft zu verabschieden und das Heil in Hanf und Co. zu suchen. „Früher haben wir nur Milch produziert und unsere Felder dazu verwendet, das Futter für die Kühe zu produzieren. Wir haben bis zu 200.000 Liter Milch im Jahr an die Molkerei geliefert und alles für die Kühe getan“, denkt Michael Halbfurter zurück an die Zeit vor dem Hanf.
Begonnen hat der anfänglich sanfte Wandel zum Hanfproduzenten, -verarbeiter und -vermarkter 2015, als Karin und Michael Halbfurter sich den Vortrag zweier HTL-Schüler über die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten des Rohstoffes angehört haben. Und spontan davon begeistert waren. „Davor habe ich noch nie etwas von Hanf gehört“, sagt Michael Halbfurter, hält kurz inne, lacht auf und erinnert sich an das bunt gemischte Publikum: „Da waren vielleicht eine Handvoll Bauern, ein paar andere, die sich für Hanf als Dämmstoff interessiert haben, und einige, die ihn wahrscheinlich rauchen wollten.“ Dass es am Hof so geworden ist, wie es heute ist, liegt wesentlich an Gattin Karin Halbfurter. Sie war die treibende Kraft hinter dem Wechsel zu Hanf und Co. „Ich wollte immer schon Getreide anbauen, weil ich so gerne Brot backe“, sagt die Bäuerin. „Michael hat das anfangs nur mir zuliebe mitgetragen.“ Heute sind die beiden restlos von ihrem neuen Weg überzeugt.
Anfänglich war es ungewohnt für die Halbfurters, nicht mehr mit dem Biorhythmus der Milchkuh leben und arbeiten zu müssen. „Bauern, die nicht melken müssen, haben das ganze Jahr Urlaub am Bauernhof. Am Anfang, im Sommer ohne Tiere im Stall, war ich mir gar nicht mehr sicher, wann ich denn nun überhaupt aufstehen soll“, bemerkt Michael Halbfurter halb im Scherz.
Intelligente Pflanze
Langwierige theoretische Überlegungen und Debatten waren jedenfalls nicht die Sache des Landwirts mit Hands-on-Mentalität, der vor ein paar Jahren gesagt hat: „Bringt mir einen Sack Saatgut, dann probieren wir’s einfach aus.“ Gesagt, getan. Einen halben Hektar hat Halbfurter im Premierenjahr bepflanzt, heute sind es bereits mehr als fünf. Zunächst arbeiten die Halbfurters mit zwei anderen Landwirten zusammen, heute wird alles rund um den Hanf direkt am Hof in Stribach erledigt. „Anfangs wurden wir hauptsächlich belächelt“, sagt der Hanfbauer.
Die erste Zeit steht ganz im Zeichen des Herumtüftelns. Zur Ernte setzt der findige Bauer bewusst einen alten, den Herausforderungen der Hanfernte angepassten Mähdrescher aus den 1960er-Jahren ein, der den extrem widerstandsfähigen Fasern besser trotzt als die meisten modernen Maschinen. „Aus den Samen – man nennt sie beim Hanf Nüsse – haben wir nach unserer gelungenen ersten Ernte Öl gepresst und Müsli gemacht, aus den Blättern Tee, und mit dem Mehl haben wir Brot gebacken. So hat sich das Schritt für Schritt entwickelt“, erzählt der Bauer.
Bis auf die widerspenstigen Stängel der Hanfpflanze wird bei den Halbfurters mittlerweile alles veredelt. Projekte zur Nutzbarmachung der Fasern der Hanfpflanze sind derzeit am Laufen. Eines beschäftigt sich damit, aus dem Hanf ein Garn zu gewinnen, aus dem in der Folge Kleidung, bzw. im gegenständlichen Fall die bekannte Tirol-Mütze, ausschließlich aus heimischen Rohstoffen gemacht werden kann. Im Hofladele gibt es geschälte Bio-Hanfsamen, Hanf-Müsli-Kekse, Hanftee, Hanföl, Hanfmüsli, Hanf-Poppies – ungeschälte Nüsse, die mit Zimt und Zucker karamellisiert werden – zum Knabbern, Hanfmehl und sogar einen Hanflikör mit dem nicht ganz ernst gemeinten Namen NULL815. Und ein Bio-CBD-Öl, das sich den legalen Wirkstoff Cannabidiol (CBD) zunutze macht, der für Entspannung sorgt und das allgemeine Wohlbefinden steigert. Die genaue Rezeptur und der Herstellungsprozess sind natürlich streng geheim, das Halbfurter’sche CBD-Öl besteht aber aus Hanf und nichts als Hanf. Karin Halbfurter schwört bei Migräneattacken auf die Wirksamkeit des Öls, viele andere Kunden setzen das CBD-Öl der Halbfurters erfolgreich zur Linderung rheumatischer Beschwerden ein, indem das Öl auf die betroffenen Körperstellen aufgetragen wird. Die Bäuerin schwärmt außerdem vom Hanfmehl, das gewissermaßen als Überbleibsel beim Ölpressen zurückbleibt und in den Backerzeugnissen für eine satte grüne Färbung sorgt und glutenfrei ist. Die Hanfsamen sind ein vorzüglicher Nährstofflieferant, reich an Vitamin E, essenziellen Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren und Gamma-Linolsäure. Zudem sind die Nüsse eine sehr gute pflanzliche Proteinquelle. Das Pflanzenöl, das aus dem Hanf gewonnen wird, kann sowohl als Speiseöl in der Küche als auch in der Naturkosmetik verwendet werden.
Hanf ist – um einen Modebegriff zu strapazieren – Superfood, das vor der Haustür wächst und nicht aus fernen Weltgegenden eingeflogen oder -geschifft werden muss. Hanf, meint Michael Halbfurter, sei im Übrigen eine Pflanze, die problematische, besonders stark beanspruchte Böden verbessern könne. Er eignet sich also prinzipiell besonders gut für den Fruchtwechsel. Zugleich ist der Hanf aber auch eine sensible Pflanze und kein Selbstläufer, den man setzen und bis zur Ernte vergessen kann. „Auch wenn es vielleicht eigenartig klingt, ich habe das Gefühl, der Hanf ist eine ‚intelligente‘ Pflanze“, räsoniert der Bauer.
Inzwischen interessiert sich auch die Gastronomie in unterschiedlicher Intensität für die Hanfprodukte vom Hanserhof in Stribach. „Das Interesse aus Hotellerie und Gastronomie hängt sehr stark vom jeweiligen Koch ab. Manche sind sehr experimentierfreudig, andere weniger offen“, sagt Karin Halbfurter. Hanf ist, von kundiger Hand verarbeitet, augenscheinlich ein durchaus ergiebiges Kraut, mit dem sich so unterschiedliche Bereiche wie Kulinarik, Textil und Wellness bespielen lassen. Karin und Michael Halbfurter werden wohl auch in Zukunft auf ihrem Hof als Freiluftlabor zur Verfügung stehen, um das ganze Potenzial der Hanfpflanze in Tirol besser nutzbar zu machen.
Text und Fotos: Marian Kröll