Modetrends werden immer noch schnelllebiger. Die Textilindustrie ist in den letzten zwei, drei Jahrzehnten in eine Richtung abgebogen, die nicht gut tut – nicht der Umwelt und vor allem nicht den Menschen, die die Teile produzieren. „Fast Fashion“ ist der Begriff dazu, der ein Geschäftsmodell beschreibt, bei dem Kollektionen schnell und trendbezogen designt und zu niedrigen Preisen produziert und verkauft werden. Die Folge sind mangelnde Qualität mit damit verbundener kurzer Haltbarkeitsdauer bei gleichzeitiger Überproduktion. Kurzum: Fast Fashion verbraucht Unmengen von Ressourcen und landet innerhalb kurzer Zeit auf dem Müll – weil sie entweder kaputtgeht oder aufgrund der erheblich produzierten Menge gar nicht erst verkauft und gleich entsorgt wird. Auch renommierte Modelabels schaffen durch das bewusste Vom-Markt-Nehmen von Kleidung eine künstliche Angebotsverknappung. Anstatt einfach weniger zu produzieren, ist es günstiger, Großaufträge zu vergeben und das Zuviel wegzuschmeißen – und in der Regel zu verbrennen. All das sorgt für erhebliche Missstände in der textilen Wertschöpfungskette. Abgesehen davon, dass Billigtextilien mit reichlich Chemie behandelt werden, die wir letztlich unmittelbar am Körper tragen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Dokumentationen zu diesem Thema. Es lohnt sich, dort mal reinzuschauen.
ES GEHT AUCH ANDERS
Das alles hat auch Anna und Johanna beschäftigt und sie dachten, das müsse anders gehen. Und das tut es. „Vor ein paar Jahren habe ich einen Film über einen Sweatshop aus Bangladesh gesehen und mir gedacht: Solche Kleidung will ich nicht tragen“, sagt Anna. Auch dass jedes Kleidungsstück einzeln in Plastik verpackt nach Europa verschifft wird, ist den beiden ein Dorn im Auge. Das von ihnen gegründete Label FOR PEOPLE WHO CARE ist also mehr als eine Marke, es ist zur Lebenseinstellung geworden. Es geht um den achtsamen Umgang mit Ressourcen, um Langlebigkeit, um Achtung vor dem Handwerk und die Vermeidung von Plastik.„Ursprünglich schlug unser Herz für T-Shirts“, erzählt Anna. „Wir haben jedoch zuerst mit Taschen angefangen, da uns auch plastikfreies Einkaufen am Herzen liegt und das Projekt zunächst einfacher umzusetzen war.“ Anna ist der kreative Teil des Duos, Johanna wollte anfangs „nur ein bisschen helfen“ und ist dann geblieben. Eigentlich ist sie Ärztin und arbeitet als Anästhesistin – will aber auch bewusst helfen, den Planeten zu retten. Und so ist sie von Anfang an mit Freude und Stolz bei FOR PEOPLE WHO CARE dabei. Die Idee dazu entstand vor rund vier Jahren. Anna: „Wir beide mochten Bauchtaschen. Ich hatte eine aus Polyester und eine zweite aus Leder. Wir haben dann beide angefangen, uns vegan zu ernähren, damit war auch Leder kein Thema mehr für uns. Auch Polyester ist für die Umwelt nicht ideal, also haben wir angefangen, uns auf die Suche nach Alternativen zu machen.“ Diese haben sie in einem Startup in Großbritannien gefunden, in Form von Piñatex. Dabei handelt es sich um ein innovatives Material, das aus den Fasern der Ananasblätter hergestellt wird. Optisch und haptisch erinnert es stark an Leder, ist robust und wasserabweisend, jedoch gänzlich vegan und dazu GOTS-zertifiziert. Das britische Startup hat rund sieben Jahre an dem Material geforscht, weiterverarbeitet wird es in Barcelona. Für die Ananansfarmer ergibt sich daraus eine zusätzliche Einnahmequelle, würden die Blätter doch in der Regel auf dem Müll landen. Durch Piñatex werden sie einer sinnvollen Verwertung zugeführt und die Farmer lukrieren daraus ein zusätzliches Einkommen. „Es gibt viele vegane Lederalternativen – aus Äpfeln, Pilzen oder Kaktus zum Beispiel –, doch die Ananasfaser hat uns am meisten überzeugt. Um Pflanzenfasern entsprechend robust und wasserabweisend zu machen, kommt man im Moment um Zusatzstoffe nicht herum. Piñatex ist jenes Material mit den wenigsten Fremdstoffen, rund 90 Prozent sind pflanzlich. Der Hersteller arbeitet gerade an einer Variante, die zu 100 Prozent biologisch abbaubar ist“, erklärt Anna. Dem Zufall war es geschuldet, dass FOR PEOPLE WHO CARE ein zweites Materialverarbeitet: waschbares Kraftpapier. Ursprünglich haben die beiden das Material für die Etiketten ihrer Bauchtaschen verwendet, um auch hier auf Leder zu verzichten, und kamen drauf, dass darin weit mehr steckt. Anna hat einen Bogen davon bestellt und eine Tasche daraus genäht. Das Material ist eine Mischung aus Zellulose und Kautschuk und 100 Prozent frei von tierischen Inhaltsstoffen, Plastik oder schädlichen Chemikalien. Es wird in Deutschland hergestellt und ist mit dem Oekotex-Standard und dem Zertifikat für nachhaltige Forstwirtschaft (FSC) ausgezeichnet. Und es ist ein wahres Powermaterial. Die Taschen sind superleicht, halten jedoch ordentlich was aus. „Wir haben sie mit bis zu 80 Kilo Inhalt getestet und sie hat gehalten“, so Anna. Auch die zahlreichen Waschgänge in der Maschine haben die Taschen gut überstanden. Sie sind sogar weicher und elastischer geworden. Im Design zeitlos, sind sie vor allem gemacht, um zu bleiben. Die Schnitte bleiben gleich, erhältlich sind sie in drei Größen und vielen verschiedenen Farben. „Für uns geht Nachhaltigkeit unmittelbar mit Langlebigkeit einher. Es gibt den schönen Spruch: The most sustainable clothes are the ones in your wardrobe. Wir möchten Dinge produzieren, die möglichst lange halten und die aus pflanzlichen, nachhaltigen Materialien sowie mit Respekt zur Arbeit und den Ressourcen hergestellt sind“, beschreibt Johanna. „Deshalb sind unsere Taschen geradlinig und schlicht und passen somit zu fast allem. Die haben selbst in zehn Jahren noch Gültigkeit. Auch das ist eine Form der Nachhaltigkeit.“ Anna und Johanna sind derart überzeugt von der Qualität, dass es auf die Taschen ein lebenslanges Reparaturservice gibt. Johanna: „Was wir hier machen, ist keine Innovation, sondern eigentlich ein Schritt zurück. Es ist ein Bewusstmachen für den Wert eines Produktes und ein Rückbesinnen auf das Handwerk. Wir möchten, dass die Menschen Qualität wieder schätzen lernen.“ Aus demselben Material werden außerdem Säcke in unterschiedlichsten Größen gefertigt, echte Allesverstauer, die von Wäsche bis Spielzeug alles wegstecken. Und weil die Idee von eigenen T-Shirts die beiden nie losgelassen hat, sind sie auch dieses Thema angegangen. Ziel ist es, die T-Shirts aus Biobaumwolle künftig auch anderen heimischen Labels anzubieten. Anna: „Wir bieten die Produktionsfläche, passen die Schnitteindividuell an und bedrucken die Shirts nach Wunsch.“ Die Nachfrage sei groß. Und auch sonst öffnet sich FOR PEOPLE WHO CARE nach außen: Für Hotels oder Firmen wurden bereits Umschläge für Speisekarten, Gästeinfos oder Rechnungsmappen aus Kraftpapier hergestellt und mit Logo oder einem anderen Schriftzug graviert. Geht nicht, gibt’s nicht. Potenzial ohne Ende. Ideen auch.
ZURÜCK NACH HAUSE
Anfangs wurden die Taschen in einer Schneiderei in Polen produziert. Mit der Coronapandemie wurde das zum Problem. „Dann standen wir da mit unseren Designs,Stoffen und Ideen und brauchten eigentlich nur noch zu produzieren“, erinnert sich Johanna. „Doch die Schneiderei konnte das nicht mehr. Das war der Moment, als uns klar wurde, wir müssen das selbst machen.“ Die ersten Nähmaschinen wurden gekauft und vorerst noch von zuhause aus gearbeitet. „Wir haben gesehen, dass es funktioniert“, sagt Johanna. Schritt für Schritt haben sich die zwei weitergearbeitet. „Wir haben keine Investoren im Hintergrund, hatten keinen finanziellen Background. Wir konnten nicht groß klotzen, sondern nur ausgeben, was wir selbst hatten. Und alles, was wir ausgaben, mussten wir erstmal verdienen. Wir mussten also schauen, ob sich unsere Produkte verkaufen, bevor wir weitere Schritte planen. Alles, was wir eingenommen haben, haben wir sofort wieder investiert. Den ersten Kredit haben wir schließlich für eine eigene Lasermaschine aufgenommen“, beschreibt Anna den Weg in die Selbständigkeit, den beide mit Bedacht gegangen sind. Vor einem Jahr hat FOR PEOPLE WHO CARE seinen Standort in der Mentlgasse in Wilten bezogen. Und das erste Mal Miete bezahlt. „Das war ein großer Schritt für uns“, so Johanna. Entstanden ist eine extrem coole Location, eine Mischung aus Produktionsstätte und Showroom in lässigem Look, reduziert und stylisch. Hier lassen sich die Taschen anschauen, angreifen und deren Entstehen hautnah und transparent erleben. „Diese Räume wollen jetzt mit einem coolen Team gefüllt werden“, so Anna. Den Großteil der Arbeit stemmen die beiden derzeit noch selbst, in produktionsintensiven Phasen bekommen sie Unterstützung. Nun ist die Zeit gekommen, um Mitarbeiter fix anzustellen, die von der Idee hinter FOR PEOPLE WHO CARE überzeugt sind und das Unternehmen langfristig mitgestalten.
Text: Marina Bernardi