Die Konjunktur ist im Jahr 2020 in Österreich um rund 7,5 Prozent eingebrochen. Am Aktienmarkt spiegelt sich dieser Abwärtstrend nicht wider, im Gegenteil. Immobilien und Gold stehen nach wie vor hoch im Kurs, auch die Sparquote ist gestiegen. MMag. Georg Frischmann, Leiter des Private Banking der Hypo Tirol Bank im Interview.
Georg Frischmann: Interessanterweise steigt die Risikobereitschaft unter den Anlegern im Vergleich vor der Krise, was eigentlich paradox scheint. Schaut man jedoch genauer hin, macht das durchaus Sinn. Europa befindet sich seit acht, neun Jahren in einer Nullzinsphase und ich habe das Gefühl, dass Corona ein Auslöser dafür war, dass die Leute nun realisiert haben, dass sich daran so schnell nichts ändern wird. Die Hoffnung vieler Österreicher auf ansteigende Zinsen ist endgültig zerschlagen worden, was bedeutet, dass man Alternativen sucht. Und eine höhere Rendite geht unweigerlich mit einem erhöhten Risiko einher.
Ja, durchaus. Generell stehen Sachwerte sehr im Fokus. Ich empfehle für langfristig orientierte Anleger auch seit Jahren, Sachwerte den Geldwerten vorzuziehen. Wir sehen, dass sich viele Leute durch die aktuelle Situation wieder mit dem Thema der Geldentwertung zu beschäftigen beginnen. Sie verstehen nicht, wo diese großen Geldsummen herkommen, die aktuell rund um den Globus in den Markt gepumpt werden. Österreich erlebte in den 1920er- und 1930er-Jahren Währungsreformen, die teilweise noch in den Köpfen verankert sind, und Menschen neigen dazu, Parallelen zu ziehen. Betrachtet man die Vergangenheit, waren die einzigen Anlageklassen, die Krisen und Reformen stets gut überstanden haben, Immobilien, Aktien und andere Sachwerte. Das ist sicherlich auch ein Grund, warum gerade in Krisenzeiten vermehrt darin investiert wird.
Wir sehen es als unsere Aufgabe, unseren Kunden ein globales Portfolio zusammenzustellen. Nachhaltigkeit ja, Europa indes sehe ich unter objektiven Gesichtspunkten nicht als Wachstumsmarkt. In den letzten Jahren landeten europäische Aktien mit ihrer Performance immer auf den hinteren Plätzen. Das Problem ist, dass der demographische Wandel Europa am stärksten trifft, die Erwerbsbevölkerung sinkt. Dazu kommt, dass es in Europa wenig innovative Großunternehmen in den Zukunftsbranchen gibt. Europa ist im Pharmabereich, beim Thema Industrie 4.0, in der Automation oder Robotertechnik gut aufgestellt und wird auch in Zukunft ein wichtiger Markt bleiben, dennoch erwarten wir in den USA und im asiatischen Bereich mehr Wachstum und Innovation.
Vorrangig die Zentralbanken und die Regierungen haben sehr viel daraus gelernt, vor allem, was Geschwindigkeiten von Hilfen betrifft. Die Finanzkrise begann mit der Lehman-Pleite im September 2008, das erste Konjunkturprogramm kam im Frühjahr 2009. Hier ist man deutlich schneller geworden. Was mir persönlich in den letzten 15 Jahren, seit ich mich mit der Börse beschäftige, immer mehr bewusst geworden ist, ist der enorme Einfluss der Notenbanken auf die Märkte. Auf der einen Seite sorgen sie für eine Stabilisierung des gesamten Systems, auf der anderen Seite hebeln Notenbanken sowie fiskalische Programme der Regierungen damit aber auch ein Stück weit die Marktkräfte aus. Diese Pandemie hat uns das noch einmal deutlich vor Augen geführt. Der Aktienmarkt steht heute um zehn Prozent höher als vor einem Jahr, während die Wirtschaft weltweit um rund vier Prozent eingebrochen ist. Während der Aktienmarkt mit Ausnahme einzelner Segmente aus meiner Sicht durchaus effizient bewertet ist, sehe ich vor allem am Anleihenmarkt enorme Verzerrungen durch die Notenbankinterventionen.
Das Spannendste an dieser Krise ist für mich: Wir erleben die erste Rezession, in der viele Menschen schlussendlich mehr Geld haben als zuvor. Während die Staaten extrem viel Geld auf Pump verteilt haben, um die Wirtschaft anzukurbeln, sind gleichzeitig die Sparquoten gestiegen und damit die Konto- und Geldvermögen. Es besteht also durchaus Hoffnung, dass die Bevölkerung diese Gelder verkonsumiert. Vermögende Kunden decken ihre Veranlagung erfahrungsgemäß jedoch losgelöst vom Konsum.
Interview: Marina Bernardi
Fotos: Andreas Friedle