Aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase ziehen viele Unternehmen unter anderem Maßnahmen auf der Kosten-, Investitions- und Finanzierungsseite in Betracht. Allerdings bietet die Verbesserung des Working-Capital-Managements eine gute Alternative, einen bedeutsamen Einfluss auf die Liquiditätssicherung eines Unternehmens zu nehmen. Vor allem für kleine und mittlere Unternehmen kann eine Optimierung in diesem Bereich erhebliche positive Auswirkungen auf den operativen Cashflow mit sich führen. Jedoch rückt das Working-Capital-Management bei den klein- und mittelständischen Unternehmen aufgrund fehlender Anreize oder personeller Ressourcen oftmals in den Hintergrund und wird erst bei Liquiditätsengpässen zum Thema. Denn solange Cash vorhanden ist, liegen die Prioritäten bei vielen Unternehmen woanders.
Im Allgemeinen gilt das Working-Capital-Management als Instrument des Risiko-, Finanz- und strategischen Controllings und bezieht sich auf das Nettoumlaufvermögen, also die Differenz zwischen dem Umlaufvermögen und den kurzfristigen Verbindlichkeiten. Im Zuge des aktiven Working-Capital-Managements werden Optimierungspotenziale in den Bereichen des Forderungs-, Verbindlichkeits- und des Lagermanagements realisiert und standardisiert. Dieser Prozess legt zudem einen wesentlichen Baustein für ein effizientes Controlling und dient als Startschuss für die Optimierung wesentlicher Unternehmensprozesse. Ein strukturiertes Working-Capital-Management resultiert daher in der Reduktion der Kapitalbindung und setzt somit Kapital für die Innenfinanzierung frei. Die dadurch mögliche Erhöhung der Liquidität verbessert Zahlungsströme und Bonität des Unternehmens. Um dies zu ermöglichen, muss sich das Unternehmen auf die drei wesentlichen Bestandteile – Forderungsmanagement / Verbindlichkeitenmanagement / Lagermanagement – fokussieren und dabei sowohl operative als auch finanzielle Hebel in Gang setzen.
Das Hauptziel in diesem Bereich ist die Senkung des Forderungsbestandes und die damit resultierende Freisetzung von gebundenem Kapital. Für die Erreichung dieses Ziels können mehrere Maßnahmen gesetzt werden. Zum einen durch die Festlegung unternehmensweit gültiger Finanz- und Kreditrichtlinien. Hierbei gilt es die Anzahl der unterschiedlichen Zahlungsbedingungen zu reduzieren und diese an das jeweilige Kundenrisikolevel zu knüpfen. Dies bedarf einer regelmäßigen Evaluierung der Richtlinien hinsichtlich des Kundenrisikos und eventueller Anpassungen. Zum anderen führt die Ausgestaltung eines effizienten Rechnungsstellungs- sowie proaktiven Mahnprozesses zu einer kürzeren Debitorenlaufzeit. In der aktuellen Situation rund um die COVID-19-Pandemie gilt es hier den Dialog mit den Kunden zu suchen und individuelle nachhaltige Möglichkeiten zu identifizieren und zu verhandeln. Sollte eine Reduktion der Debitorenlaufzeit nicht möglich sein, muss sichergestellt sein, dass es zu keinem Liquiditätsengpass kommt (z. B. durch frühzeitige Erhöhung der Betriebsmittellinien oder Factoring, bei dem Forderungen aus Lieferungen und Leistungen gegen einen kleinen Abschlag an eine Factorbank bzw. Factoringgesellschaft abgetreten werden).
Einen weiteren bedeutsamen Bestandteil des Working-Capital-Managements stellt der sogenannte „Purchase-to-Pay“-Prozess dar. Primäre Ziele sind die Verlängerung der Zahlungsziele gegenüber den Lieferanten sowie die Erhöhung der Außenfinanzierung, bei gleichzeitiger Ausnutzung von Skontovereinbarungen. Die Verlängerung von Zahlungszielen stellt diesbezüglich eine Herausforderung für Unternehmen dar, da dies stark abhängig von Verhandlungsmacht und -geschick ist. Hierbei gilt es, den Balanceakt zwischen der Verlängerung von Zahlungszielen und der Wahrung der guten Lieferantenbeziehungen zu meistern. Des Weiteren sollen auch Vorauszahlungen und Frühzahlungen weitestgehend vermieden werden. Alternativ kann auch der Einsatz von Sammelrechnungen zu Optimierungen in diesem Bereich führen. Auch in diesem Bereich gilt es, die aktuelle Krisensituation in die Planungen einzubeziehen und Gespräche mit den Lieferanten aufzunehmen, um für beide Seiten wirtschaftlich vernünftige Lösungen zu erringen.
Der dritte Erfolgsfaktor zielt auf die Reduktion der Kapitalbindung im Wareneingangslager ab. Hierbei gilt der Produktionsprozess als Ansatzpunkt, um das übergeordnete Ziel, welches die Minimierung der Zeitspanne zwischen Produktionsstart und dem Verkauf der betrieblichen Leistungen darstellt, zu erreichen. Zunächst muss – bei gleichzeitiger Vermeidung von Lieferausfällen – versucht werden, Vorratsbestände zu reduzieren. Gerade die Lieferverzögerungen in Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie haben gezeigt, dass die Lieferketten oft nicht krisensicher sind und Abhängigkeiten von einzelnen Zulieferern bestehen. Eine detaillierte Analyse der Lieferkette ist notwendig, um Lieferengpässe frühzeitig zu erkennen und zu planen, damit bestmöglich auf alternative Lieferwege ausgewichen werden kann und ein optimierter Lagerbestand aufgebaut bzw. gehalten werden kann. Neben einer entsprechenden Lagerbestandsprognose und Lagerbestandsdisposition sollen auch die Bestände zwischen den Produktionsschritten geplant werden, um die Kapitalbindung zwischen den Wertschöpfungsprozessen bestmöglich zu gestalten und Ineffizienzen auszuschalten. Es empfiehlt sich die Einführung eines Maßnahmenplanes, damit stets der optimale Lagerbestand vorgehalten werden kann.
Allgemein steigt in wirtschaftlich angespannten Zeiten der Druck, das Working Capital zu optimieren, da Kreditgeber speziell in diesen Situationen nochmals mehr ihr Hauptaugenmerk auf die Liquidität der einzelnen Unternehmen richten. In zahlreichen industrieübergreifenden Projekten hat sich herausgestellt, dass die Erarbeitung von kurzfristigen Verbesserungsmaßnahmen und die gleichzeitige Etablierung von Verantwortlichkeiten und Steuerungsmechanismen erfolgsentscheidend sind. Unser Ansatz ist die Betrachtung der Working-Capital-Optimierung als ganzheitliches Thema. Durch unsere langjährige branchenübergreifende operative Erfahrung und mittels innovativer Analysemethoden versuchen wir gemeinsam mit unseren Projektpartnern die Liquiditätspotenziale im Working Capital zu identifizieren, validieren, umzusetzen und dauerhaft im Prozessablauf zu verankern.
Text: Martin Wolf. B. A., Senior Manager Financial Advisory bei Deloitte Tirol, www.deloitte.at/tirol