Standortanwalt Stefan Garbislander und Landesumweltanwalt Johannes Kostenzer sind es gewohnt, sich in dieser Umwelt zu bewegen, deren Gestaltung maßgeblich beeinflusst, wie wir in Zukunft leben und wirtschaften werden. Das Doppel-Interview.
Stefan Garbislander: Ich schätze es, dass die Interessen des Natur- und Umweltschutzes, die ja absolut berechtigt sind, in den Verfahren von einer kompetenten Stelle wahrgenommen werden, die nicht Eigeninteressen verfolgt, wie das oft bei Bürgerbewegungen ist. In Tirol funktioniert das Verhältnis zwischen Landesumweltanwaltschaft und Wirtschaftskammer bzw. Standortanwalt aus meiner Sicht gut. Wir stehen auch im regelmäßigen Austausch.
Johannes Kostenzer: Ich habe die Standortanwaltschaft als Chance gesehen, weil ich seit vielen Jahren von diesem sektoralen Denken – hier gibt es den Umweltschutz, da die Wirtschaft und dort die Landwirtschaft – wegkommen möchte. Letzten Endes wirkt das alles zusammen. Eigentlich wäre die Funktion einer Standortumweltanwaltschaft eine Bereicherung, weil ich immer davon ausgegangen bin, dass deren Ziel die Stärkung des Wirtschaftsstandorts im Gesamten ist. Jetzt ist das – Stefan, sei mir nicht böse – nicht ganz gelungen. Im Gesetz steht nicht, dass der Standortanwalt die Interessen der Wirtschaft eines Standorts zu vertreten hat, sondern nur die Partikularinteressen, weil ihr die möglicherweise abträglichen Auswirkungen für andere Betriebe oder den Standort an sich im Verfahren nicht einmal zur Sprache bringen dürft. Ihr dürft nur die positiven Auswirkungen des jeweiligen Vorhabens ins Treffen führen, und das finde ich extrem schade.
Garbislander: Ich stehe zu diesem Gesetz, für das ich natürlich nichts kann. Es ist nicht so, dass wir die Partikularinteressen wahrnehmen, wir stellen die positiven Aspekte dar, die ein Projekt für die Regionalwirtschaft bedeutet. Wir können – wie Johannes richtig gesagt hat – uns nicht gegen ein Projekt aussprechen. Das ist der gesetzliche Rahmen.
Kostenzer: Es geht mir gar nicht so sehr ums Dagegen-Sein. Wir leben in einer Welt der Mitbewerber. Auch die Wirtschaft funktioniert wie ein Ökosystem, in dem es immer Gewinner und Verlierer gibt.
Garbislander: Nicht immer. Bei guten Projekten profitiert gleich eine ganze Region. Gewinnt die Region, gewinnen alle. Es muss nicht immer einen Verlierer geben.
Garbislander: Das wird medial zwar gerne so inszeniert, ich sehe es aber überhaupt nicht so. Ich sehe indes eine andere Bruchlinie auf uns zukommen, nämlich jene zwischen dem Klimaschutz auf der einen und dem Naturschutz auf der anderen Seite. Das sieht man jetzt schon bei vielen Projekten der Energiewende, die man im Sinne des Klimaschutzes machen möchte, deren Realisierung aber sehr lange dauert bzw. aus Naturschutzüberlegungen verzögert wird. Da spießt es sich viel mehr als bei einem etwaigen Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie.
Kostenzer: Ja, den gibt es und das sehe ich auch als Gefahr. Das kann ein Bumerang werden. Wenn ich zu lange in Richtung Klimaneutralität gehe, ohne die Thematik Biodiversität und den sorgsamen Umgang mit unserem Lebensraum im Auge zu haben, wird sich das umso bitterer rächen, weil wir in ein Naturschutzprekariat kommen werden. Das wird ein Kostentreiber ohne Ende. Machen wir uns nicht rasch bewusst, dass wir eine Klimastrategie nur im Zusammenspiel mit Erhaltung der Biodiversität bewerkstelligen können, dann – Gute Nacht!
Garbislander: Ich würde die Herausforderung gern an einem konkreten Beispiel festmachen: Bis 2030 soll der gesamte Strom, den wir nutzen, aus erneuerbaren Energiequellen kommen. Wir brauchen dafür 27 TWh mehr an erneuerbarer Energie, davon einiges aus Wasserkraft und Photovoltaik. Um das zu erreichen, müssen Projekte umgesetzt werden. Wenn die Verfahren so lange dauern, wie das vor allem im Bereich der Wasserkraft üblich geworden ist, werden wir unsere Ziele verfehlen. Unser Punkt ist der: Wenn man den Klimaschutz ernst nimmt, braucht es stringente und rasche Verfahren, damit Projekte zum Abschluss kommen können. Wir werden das Ziel höchstwahrscheinlich verfehlen, nicht weil nicht genügend Projekte in der Pipeline sind, sondern weil wir diese nicht umsetzen können. Das Energiethema ist aber nur eine Herausforderung von vielen. Beleuchten wir den Standort Tirol, hat die jetzige Krise ganz gut gezeigt, dass wir neben dem Dienstleistungssektor vor allem in der Inntalfurche einen ganz starken produzierenden Sektor brauchen. Dieser hat uns vor einem noch stärkeren Absturz bewahrt. Es gibt zwar landwirtschaftliche Vorsorgeflächen, aber keine gewerblichen, die dazu dienen könnten, den Produktionsstandort Tirol abzusichern. Das ist für mich eine der großen Lehren aus der Pandemie, die uns ökonomisch viel stärker getroffen hat als andere Bundesländer.
Kostenzer: Das sehe ich ganz gleich. Ich sehe noch ein drittes Feld, wo es gut wäre, massiv zu investieren. Das ist Forschung und Entwicklung. Hier können sich im Industrie- und Gewerbebereich Synergien ergeben, die langfristig für das Land Alternativen zu einem Monopol des Tourismus in hinteren Talschaften bedeuten. Da wäre ich sehr interessiert daran, angesichts des Ausgeliefertseins mancher Talschaften, Strategien zu entwickeln, dem Übergewicht des Tourismus etwas entgegenzustellen, Kontrapunkte zu setzen für junge Unternehmer und Forscher. Warum soll etwa im hinteren Ötztal nicht etwas anderes als Tourismus stattfinden können? Es gibt Breitband, es gibt Lebensqualität.
Garbislander: Die Digitalisierung eröffnet uns diese Möglichkeiten. Ich glaube auch, dass es in den Tälern einen anderen Branchenmix braucht, wobei man aufpassen muss, dass dadurch keine Nutzungskonflikte entstehen.
Interview: Marian Kröll
Fotos: Andreas Friedle