Markenentwicklung ist Markus Webhofers täglich Brot. Bei Entscheidungen für oder gegen eine Marke, die immer in der Wahrnehmung ihres Publikums beheimatet ist, gibt die Emotion der Ratio die Hand. Damit ein Produkt oder eine Dienstleistung überhaupt markenfähig wird, sieht Webhofer die Leistungskomponente ausschlaggebend. Die Entwicklung der Marke Tirol sieht der Experte kritisch, Osttirol spricht er überhaupt die Markenfähigkeit ab. Zudem sei Tirol zu billig und von „Overtourism“ meilenweit entfernt.
eco.nova: Spricht uns eine Marke – oder vielmehr die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Marke – eher auf der emotionalen oder rationalen Ebene an? Markus Webhofer: In der Wir-leben-in-Mensch-Ding-Beziehungen. Auch bei Marken handelt es sich um eine solche Beziehung. Das ist etwas Emotionales. Mir gefällt in diesem Zusammenhang der Begriff der Affektlogik, der vom Schweizer Psychiater Luc Ciompi eingeführt wurde und das unmittelbare Zusammenwirken von Fühlen und Denken beschreibt. Man findet über Emotion in einen Entscheidungskanal hinein und beginnt erst dann mit der rationalen Bewertung.
Was macht eine Marke stark? Eine starke Marke ist letztlich darin begründet, dass ihr stabile, positive Commitments von ganz vielen Kund*innen zugrunde liegen. Die Marke wohnt in den Köpfen und Herzen dieser Menschen. In der Wahrnehmung ihres Publikums ist sie tatsächlich beheimatet, sonst nirgends. Gibt es dort eine hochgradig positive Assoziation mit der Marke – begehrt, attraktiv, geschätzt –, dann kann man von einer starken Marke sprechen. Je intensiver die Beziehung zum und je größer das Publikum, umso stärker wird die Marke. Eine Marke wird begründet und gestärkt durch hervorragende Produkte und Dienstleistungen. Die Leistungskomponente ist ausschlaggebend. Das ist ganz wichtig. Ein Beispiel: Ein Restaurant kann noch so schön eingerichtet sein und einladend wirken, wenn das Essen – die Kernkomponente – nicht schmeckt, wird man dort kein zweites Mal hingehen. Bei guten Marken muss alles zusammenstimmen und die Gesamtperformance passen.
Darüber kann man auch mit noch so viel Marketing nicht hinwegtäuschen? Nein. Die Leistung muss stimmen. Unternehmen und Destinationen tun gut daran, an dieser Komponente zu arbeiten. Gute Marken müssen ihre Strahlkraft aus der Leistung heraus entfalten und nicht aus der Kommunikation. Kommunikation kann gute Leistungen veredeln, verstärken und stützen, aber nicht herbeireden. Sie kann keine Marke aufbauen, die nicht auf Leistung gegründet ist.
Tirol ist selbst eine Marke. Südtirol zweifellos auch. Für einen anderen Landesteil, nämlich für Osttirol, haben Sie das einmal in Abrede gestellt. Warum? Osttirol ist ein wunderschöner Flecken Erde, der über den Naturaspekt – das ist auch dem Zeitgeist geschuldet – noch einmal attraktivere Komponenten bekommt, sodass Resonanzfähigkeit entsteht. Marken werden aber nun einmal über Leistung entwickelt, und in Osttirol fehlt genau diese Leistungsmentalität und die konkreten Produkte und Dienstleistungen dahinter. Nur zu sagen „Ihr könnt bei uns gut wandern“, ist zu wenig. Es gibt keine Leistungskultur, wie es ist, ist es. Deshalb spreche ich Osttirol die Markenfähigkeit per se ab. Ich finde auch die Mentalität falsch, sich neben der Marke Tirol eine eigene Marke Osttirol zu halten. Es ist schwer genug, eine Marke aufzubauen und zu pflegen, geschweige denn zwei konkurrierende Brands zu haben. Es wäre aus meiner Sicht für alle besser, gemeinsam auf die Marke Tirol zu setzen. Osttirol könnte für Tirol etwas sehr Attraktives bieten: diese Ursprünglichkeit Tirols, die es so in Nordtirol gar nicht mehr gibt.
„Wofür stehen wir eigentlich als Tourismusdestination – und was macht uns einzigartig?“ In einer Untersuchung sind Sie genau dieser Frage nachgegangen und haben dabei bemerkt, dass es oft an Präzision fehlt, wenn es um die Selbstbeschreibung touristischer Destinationen geht. Warum muss so oft der Gemeinplatz herhalten, wenn es darum geht, dass touristische Destinationen ihre Alleinstellungsmerkmale benennen sollen? Ich würde sagen, weil es an Mut zum Commitment, zur klaren Festlegung fehlt. Im Gegensatz zu Unternehmensmarken bestehen Destinationsmarken aus sehr vielen losen, selbständigen Entscheidungs- und Leistungsträgern. Hoteliers, Gastronomen, Skischulen, Handelsbetriebe, Seilbahnen, ein heterogenes Konstrukt, das unter dem Dach einer gemeinsamen Marke beworben wird. In diesem losen Netzwerk von Ressourcen, Entscheidungen und Aktivitäten muss man eine für Gäste relevante Themenbündelung zustande bringen. Das braucht sehr viel Dialog, interne Kommunikation und strategische Begleitung.
Marken können nicht herbeigeredet oder gar von oben herab dekretiert werden. Es braucht also ein gemeinsames Bekenntnis zur Marke aller relevanten Akteure und eine gemeinsame Erzählung? Wir versuchen, in der strategischen Markenführung immer möglichst viele Akteur*innen einzubeziehen. Darunter sowohl Touristiker als auch Kritiker der bestehenden Situation. Mit dieser heterogenen Gruppe versuchen wir, in einen Dialog über die Zukunft zu gehen und ein gemeinsames Commitment zu schaffen. Wir versuchen zuerst, aus den vielen unterschiedlichen Perspektiven eine gemeinsame Sicht auf die Realität zu entwickeln. Auf die Stärken und Schwächen, die Lücken und Chancen. Aus dieser Bestandsaufnahme heraus bauen wir ein Zukunftsbild auf, das schrittweise und geordnet umgesetzt wird. Es muss Dichte entstehen: in den Leistungen, in den Signalen an den Markt. Es braucht sowohl im Aufbau einer gemeinsamen Zukunftsvision als auch in deren schrittweiser Umsetzung sehr viel Disziplin.
Ischgl (Relax. If you can…) ist in der Pandemie weltweit und besonders in den Hauptmärkten negativ in die Schlagzeilen gekommen. Hat es Sie überrascht, wie viel gut etablierte touristische Marken an negativer Berichterstattung aushalten, ohne dauerhaft Schaden zu nehmen? Ischgl muss man von zwei Seiten betrachten: Es gibt in ganz Tirol keine zweite Brand, die so viel eingefleischte Fans und im Winter so ein stabiles Publikum hat. Ischgl hat de facto ein Skiprodukt wie kaum eine Destination im europäischen Alpenraum und eine dementsprechend qualitativ hochwertige Hotelinfrastruktur. Das schätzen die Kund*innen am meisten. Das hat mit der Leistung zu tun, die ein wenig von dieser Après-Ski-Kultur überschattet wird. Das tut Ischgl nicht sonderlich gut, gehört aber irgendwie zum Flair. Ischgl hat zudem das jüngste Publikum in Tirol. Im Skisport müssen wir darauf achten, dass uns das Publikum nicht ausstirbt. Diese Entwicklung will man selbst im Kreis der Touristiker*innen aber noch nicht in ihrer ganzen Tragweite sehen. Der Grund für das schnelle Wiedererstarken Ischgls liegt in der absoluten Qualität des Kernprodukts. Und das ist in Tirol nach wie vor der Skisport. Diese Leistung passt, die Fans halten Ischgl die Treue.
Zunehmend geht das Schreckgespenst „Overtourism“ in Tirol um und belastet die Tourismusgesinnung der Bevölkerung. In Tirol gibt es keinen „Overtourism“. Wir haben im Paznaun im Winter eine Auslastung von 51 Prozent, Gesamttirol hat eine Auslastung von 40,9 Prozent. Von „Overtourism“ sind wir weit entfernt.
Die Zahlen sind das eine, die Wahrnehmung das andere. Woher kommt dann überhaupt diese Debatte? Ich vermute, dass das mit der Verkehrssituation in Tirol zusammenhängt. Gerade in den Tourismuszentren gibt es geballte An- und Abreisezeiten, die mit teils sehr hoher Verkehrsbelastung einhergehen. Die wird in Zukunft eher noch stärker als schwächer werden.
Ungeachtet der Auslastungszahlen dürfte es in der Bevölkerung einen gewissen Leidensdruck geben. Kann eine Destinationsmarke, gleichsam im luftleeren Raum, ohne genügende Akzeptanz der Bewohner*innen eben jener Destination, auf Dauer glaubwürdig sein? Nein. Man muss sich bei der Entwicklung des touristischen Produkts mit der Bevölkerung auseinandersetzen. Manche Destinationen machen zwar einen guten Job, aber allgemein wird zu wenig Integration sichergestellt. Die Vorteile der touristischen Infrastruktur für die Bevölkerung werden zu wenig ins Treffen geführt. Die vielen Freizeiteinrichtungen sind ein echter Beitrag zur Lebensqualität. Außerdem: In puncto sozialer Nachhaltigkeit halte ich den Tourismus für ein extrem gelungenes Programm.
Die historische Leistung des Tourismus, ganze Täler aus der Armut geholt zu haben, wird heutzutage vielfach einfach vergessen. Die alpinen Seitentäler waren arm und menschenleer, mangels Lebensgrundlage. Das sollte man etwas stärker ins Bewusstsein rufen. Wenn der Tourismus überhandnimmt und man – so wie beispielsweise in Venedig – dort nicht mehr leben will, dann ist das freilich das andere Extrem. Von diesen Zuständen sind wir weit entfernt. In Tirol sollten wir dennoch mehr Bewusstsein für das Preisniveau entwickeln. Tirol ist zu günstig.
Was meinen Sie damit? Die Preise in der Hotellerie und Gastronomie haben inflationsbedingt stark angezogen, womöglich zu ruckartig. In Bezug auf die touristische Preisentwicklung hängt der Vorwurf in der Regel an den Seilbahnen. Das halte ich für falsch. Die Seilbahnen sind das Kernprodukt und damit die touristische Grundlage in alpinen Destinationen. Das Problem in der Preiswahrnehmung des Winterurlaubs ist das Gesamtpaket (Gastro, Hotels, Skiverleih etc.). In einer Woche mit der Familie 10.000 Euro auszugeben, ist keine große Kunst. Und das ist enorm viel Geld. Das hervorragende Kernprodukt des Skifahrens, weshalb die meisten Gäste nach Tirol in den Urlaub fahren, ist preislich im Vergleich zu den Gesamtausgaben fast ein Nebenschauplatz.
Touristische Angebote befeuern die Teuerung. Für das Luxussegment ist das kein gravierendes Problem, dort werden aber nicht alle Tiroler Tourismusorte Platz finden. Wird es kostenbedingt ganz automatisch zu einer Redimensionierung des Tourismus kommen? Würde eine solche nicht dem während der Pandemie ausgelobten Ziel, Qualität statt Quantität zu verfolgen, entsprechen? Das wird so sein und soll auch so sein. Und es zeigt sich schon in der Statistik. Die medial aus meiner Sicht zu Unrecht gefeierten Zuwächse sind überwiegend auf Preisaufschläge, auch inflationsbedingt, zurückzuführen und nicht auf mehr Nächtigungen. Speziell im mittleren Segment wird es zu einer Konsolidierung kommen, auch neue Geschäftsmodelle werden Einzug halten. Etwa dahingehend, dass aus 4-Sterne-Hotels Apartments werden, die leistbarer und weniger personalintensiv sind. Oder zentrale Küchen werden Hotels beliefern oder privat zustellen.
Die Marke Tirol hat mit der Gründung der Lebensraum Tirol GmbH gewissermaßen neue Aufgaben bekommen und soll zunehmend auch der Wirtschaft und Landwirtschaft Glanz verleihen. Wie sehen Sie das? Ich würde meinen, das bietet sich an. Dennoch wird es weiterhin so sein, dass die Marke Tirol mit Abstand den größten Impact im Tourismus entfaltet. Generell würde ich empfehlen, wieder einmal sauber auf die Marke Tirol hinzuschauen, weil diese Marke wieder mehr Dynamik benötigt, das wirkt heute etwas verstaubt. Es ist schade, wenn eine grundsätzlich starke Marke von den starken Destinationen nicht mehr im Co-Branding eingesetzt wird. Hier ist eine Entkopplung passiert. Da gilt es gegenzusteuern. Die Marke Tirol sollte wieder mehr an sich arbeiten.
Interview: Marian Kröll
Fotos: Brand Logic/Elisabeth Laminger, Kitzbühel Tourismus