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Wirtschaft

Haushaltsbuch

16.9.2021

Generell verpflichtet die VRV 2015 Länder und Gemeinden seit dem Finanzjahr 2020, entsprechende Voranschläge und Rechnungsabschlüsse zu erstellen. Vereinfacht gesagt, wurden die Haushalte von Gemeinden vorher nach dem Prinzip der Kameralistik geführt, also als Einnahmen-Ausgaben-Rechnung (wie sie auch andere öffentliche Verwaltungen oder Universitäten führen), die zwar recht einfach zu handhaben, aber unterm Strich recht wenig aussagekräftig ist. Mit der neuen Verordnung wurde nun ein System analog der doppelten Buchführung von Unternehmen eingeführt.

Ist die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung letztlich eine einfache Gegenüberstellung von – dem Namen folgend – Einnahmen und Ausgaben mit einem ausgewiesenen Gewinn oder Verlust am Ende, werden in der doppelten Buchführung sämtliche Vorgänge zweifach, also auf einem Konto und einem Gegenkonto, gebucht. Es wird einerseits erfasst, auf welchem Konto die Bewegung stattfand – etwa auf dem Bankkonto oder der Kasse – und auf der anderen Seite, wofür dieses Geld verwendet wurde – zum Beispiel zum Kauf von Maschinen oder Waren oder den Fuhrpark. Außerdem kennt die Kameralistik keinen Wertverlust, auch als Abschreibung bekannt, geht man doch davon aus, dass jeder gekaufte Gegenstand durch Gebrauch mit der Zeit an Wert verliert. Man kennt das im privaten Bereich vom Auto, Selbiges gilt im Unternehmen zum Beispiel auch für Gebäude, Inventar oder Geräte wie Computer und Drucker und bei Gemeinden weiterführend zudem für Straßen oder Infrastrukturen. Und hier wird’s nun knifflig.

Um einen Wertverlust zu ermitteln, muss man zuerst den Wert der Dinge kennen. Das war für Gemeinden bis dato nicht verpflichtend zu erfassen, weil man in der kameralistischen Haushaltsrechnung schlichtweg keine Vermögensbuchhaltung brauchte. Kurzum: Das tatsächliche Vermögen von Gemeinden war bis zum Jahr 2020 vielfach unbekannt, weil niemand sich darüber Gedanken machte bzw. machen musste. Eine doppelte Buchführung jedoch verlangt eine Eröffnungsbilanz, in der all diese Werte zahlenmäßig abgebildet sind. Die Gemeinden standen mit Eintritt der Verordnung nun vor der Aufgabe, ihr Vermögen zu sichten, zu erfassen … und es zu bewerten. 

Gebäude, Infrastruktur, Kunst

Die Dimension der Vermögenserfassung und -bewertung von Gemeinden wird dann deutlich, wenn man sich bewusst macht, welche Bereiche davon umfasst sind. Nämlich alle. Für die Bewertung wurde von Steuerberater Prof. Dr. Helmut Schuchter, MBA Klaus Kandler im Auftrag der GemNova und der KufGem in Absprache mit dem Land Tirol ein Leitfaden erarbeitet, an dem man sich „entlanghangeln konnte“, wie es etwa Mario Remes, Finanzverwalter von Wattens, bezeichnet. Die Marktgemeinde hatte den Vorteil, dass vorausschauenderweise schon zahlreiche Vermögensdaten vorhanden waren, dennoch gab es viel zu tun. Remes gibt einen kleinen Einblick: „Grundstücke zum Beispiel bewertet man nach dem so genannten Grundstücksrasterverfahren. Die Basis dafür bildet eine vom Finanzamt erstellte Auflistung über die verschiedenen Grundstückspreise. In Zusammenarbeit mit dem Bauamt lassen sich außerdem die Besitzverhältnisse der einzelnen Grundstücke ausheben und folglich jene Flächen, die der Gemeinde gehören. Auch Straßen müssen Abschnitt für Abschnitt begutachtet, ihr Alter und Zustand bewertet werden. Daraus ergibt sich der jeweilige Quadratmeterpreis (für eine neue Asphaltstraße übrigens rund 72 Euro netto), der entsprechend hochgerechnet wird. Zu diesen großen Brocken kommen Büromaterial, Computer, Autos, Mopeds, Lagerbestände … also alles, was nicht direkt über externe Aufzeichnungen herangezogen werden kann.“ Auch Kunst- und Kulturgüter: „Wenn man den ungefähren oder sogar genauen Preis eines Kunstgegenstandes weiß, zum Beispiel über ein Schätzgutachten, nimmt man diesen auf, wäre die genaue Kostenschätzung ein zu großer Aufwand, gibt es den Posten der so genannten ‚nicht bewerteten Kulturgüter‘. Wichtig ist, dass sämtliche Güter jedenfalls erfasst werden“, so Remes. All diese Werte finden sich im Vermögenshaushalt wieder. Dieser ist einer von drei Teilbereichen des Gesamthaushaltes.

Gab es früher mit der Kameralistik einen Ein-Komponenten-Haushalt, also DEN Haushalt, so besteht dieser nun aus drei Teilen: dem Ergebnishaushalt (der Gewinn- und Verlustrechnung), dem Finanzierungshaushalt (der Cashflow-Rechnung, einer Übersicht über die Geldflüsse, sowohl Ein- als auch Ausgänge) und dem angesprochenen Vermögenshaushalt (quasi die Bilanz mit Anlage- und Umlaufvermögen, Eigen- und Fremdkapital). Jeder der einzelnen Haushalte ist in sich geschlossen und dennoch greifen alle ineinander. Und hierin besteht die nächste Crux: Viele Finanzverantwortlichen in Gemeinden mussten das neue System in seinen Grundzügen erst verstehen lernen. Diese Komplexität birgt unter anderem die Gefahr für Missinterpretationen. Stellte man früher einfach die Einnahmen den Ausgaben gegenüber und erhielt ein Ergebnis, das besagt, man erzielte entweder einen Gewinn, mit dem man im nächsten Jahr zum Beispiel Investitionen tätigen konnte (was gut ist), oder einen Verlust, weil man zu viel ausgegeben bzw. zu wenig eingenommen hatte und folglich wenig bis keinen finanziellen Spielraum hat (was nicht gut ist), so ist das Zahlenwerk heute wesentlich vielschichtiger – damit zwar auch aussagekräftiger, braucht jedoch ein (buchhalterisches) Grundverständnis. Grundstücke zum Beispiel sind ein beachtlicher Vermögenswert, können aber oft nicht verwertet werden, weil sie bebaut sind – mitunter mit der örtlichen Schule oder auch Straßen. Dieses Vermögen ist dann zwar vorhanden, aber gebunden und damit nicht in Geld ummünzbar, sollte man zum Beispiel Kapital für Investitionen benötigen. 

Trotz aller Mühen erkennen die Gemeinden durchaus Vorteile am neuen System. Remes: „Auch wenn es gerade in den ersten Jahren ein aufwändiges Verfahren ist, so schafft es eine breite Informationsbasis, mit der man nachhaltig erfolgreich arbeiten und Handlungsempfehlungen ableiten kann.“ 

Text: Marina Bernardi

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