Anja Niedworok befasst sich wissenschaftlich mit Innovationsprozessen und ist Design-Thinking-Expertin. Dieser Innovationsansatz entstammt dem Design, lässt sich aber dank seiner Interdisziplinarität auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen anwenden, um breiter und tiefer auf die gezielte Suche nach neuen Möglichkeiten zu gehen.
eco.nova: Was ist unter dem Begriff Design Thinking zu verstehen?
Anja Niedworok: Design Thinking ist eine kundenzentrierte Methode zur Lösung von komplexen Problemen und die Entwicklung von neuen Ideen.
Worin liegen die Stärken des Design Thinking?
In möglichst kurzer Zeit verschiedene Leute auf den Punkt zu bringen und gemeinsam Lösungen bzw. Ideen für ein Problem zu entwickeln. Für mich liegt die große Stärke in der Diversität – Leute, die mit verschiedenen Backgrounds zusammenkommen und gemeinsam etwas kreieren. Es gibt keine Hierarchien in einer Design-Thinking-Arbeitsgruppe. Das „Wir“, das gemeinsam eine Lösung entwickelt, steht im Vordergrund. Eine weitere große Stärke liegt darin, dass es sich um eine sehr strukturierte Methode handelt: es gibt eine klar Prozessabfolge, wann welcher Schritt gemacht wird. Insgesamt erlaubt Design Thinking zumindest temporär eine gewisse kognitive Flexibilität. Diese kognitive Flexibilität ist wichtig für die Anpassung an unsere Umwelt – ohne diese Anpassungsfähigkeit können wir nicht überleben. Hätte beispielsweise Kodak damals die Bedeutung der digitalen Fotografie erkannt, wäre die Firmenentwicklung wahrscheinlich völlig anders verlaufen.
Wie sind Sie mit diesem Ansatz in Berührung gekommen, was hat Sie daran fasziniert?
Eigentlich über das Themengebiet Ästhetik und Design. Und ich bin dann relativ rasch auf das Thema Design als Innovationsmotor gestoßen und somit auf das Thema Design Thinking. Meine erste Erfahrung mit einem Design-Thinking-Workshop war katastrophal – und trotzdem hat mich das Thema nicht mehr losgelassen, bis ich schließlich meine Doktorarbeit dazu schrieb.
Welche Bedeutung hat die Interdisziplinarität im Design Thinking?
Eine sehr große. Von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wissen wir, dass es förderlich sein kann, wenn Menschen mit unterschiedlichen beruflichen, ethnischen oder was auch immer Backgrounds zusammenkommen. Jeder bringt seine eigene Brille der Wahrnehmung und Sichtweise der Fragestellung und schlussendlich mögliche Lösungsansätze mit ein. Die Kunst ist es, daraus einen gemeinsamen Standpunkt zu entwickeln. Dies verläuft manchmal nicht ganz reibungsfrei, aber genau dieser Prozess fördert unter anderem innovative Lösungen. Nicht vorkommen sollte es, dass diese Art von „Aufgaben-Konflikten“ auf der persönlichen Ebene ausgetragen werden.
Ist Design Thinking ungeachtet der Unternehmensgröße und Branche ein geeigneter Ansatz nach dem Prinzip One-size-fits-all? Welche Rolle kann Design Thinking in der eher kleinstrukturierten Tiroler Wirtschaft spielen?
Design Thinking ist in meinen Augen in der Tat hilfreich für eine Reihe von Unternehmensgrößen und Branchen, was durch eine Vielzahl an Beispielen belegt werden kann. Unterscheiden muss man eher die Art des Problems, das man lösen will. Hat man bereits eine fertig ausgetüftelte Lösung vor sich, macht ein Design-Thinking-Prozess nur bedingt Sinn – Voraussetzung wäre in diesem Fall, dass man offen für Lösungen ist, die bisher nicht auf dem Tapet waren. Gerade für die kleinstrukturierte Tiroler Wirtschaft bringt der Design-Thinking-Ansatz enorme Vorteile, weil er schnell Ergebnisse für Lösungen hervorbringt.
Wie zeit-, ressourcen- und personalintensiv ist Design Thinking, auch im Vergleich mit anderen Innovationsansätzen und -methoden?
Design Thinking kann je nach Anwendung und Kontext unterschiedlich zeit-, ressourcen- und personalintensiv sein. Im Allgemeinen erfordert der Design-Thinking-Prozess Engagement, Zusammenarbeit und Kreativität, um bestmögliche Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Im Vergleich zu anderen Innovationsansätzen und -methoden wie Six Sigma, Lean oder agilen Methoden kann Design Thinking grundsätzlich als zeit- und personalintensiver betrachtet werden, das muss aber nicht zwangsläufig so sein – es hängt von der Fragestellung ab, die ich lösen will und wie vertraut ich mit der Methode bin.
Braucht es zum Design Thinking denn zwingend einen Designer? Welche Schlüsselkräfte braucht es im Unternehmen, die einen solchen Innovationsprozess qualifiziert am Laufen halten können?
Nein, es braucht keinen Designer für Design Thinking, wobei ein Design-Background hilfreich ist. Denn schlussendlich wurde die Methode von Designern und wie sie arbeiten abgeschaut. Es gibt Trainings, in denen man die Methode auch als Nicht-Designer erlernen kann. So ein Training lässt einen die Tools erfahren und vermittelt eine ganze Menge an Tricks, um erfolgreich Design-Thinking-Workshops zu leiten. Sollte es keinen Innovationsmanager im Unternehmen geben, sollte trotzdem eine Person ausgewählt werden, die Verantwortung für solche Prozesse übernehmen kann und will.
Design Thinking wird bisweilen ob dessen begrifflicher Unschärfe kritisiert. Außerdem wirft man dem Ansatz vor, grundlegend konservativ zu sein. Wo sehen Sie die Schwächen des Design Thinking?
Es gibt tatsächlich eine sprachliche Unschärfe. Designer werfen manchmal Design Thinkern vor, dass dies etwas sei, was sie als Designer ohnehin schon die ganze Zeit machen würden. Auch in der wissenschaftlichen Literatur gibt es eine begriffliche Unschärfe. Die Schwäche des Design Thinking-Prozesses in meinen Augen ist, dass die Lösungen oft nicht so ein innovativer „Breakthrough“ sind, wie man sich das wünschen würde.
Setzt Design Thinking eine überdurchschnittliche Ambiguitätstoleranz voraus?
Design Thinking setzt, würde ich meinen, keine überdurchschnittliche Fähigkeit voraus, mit Mehrdeutigkeit und Unsicherheit umgehen zu können. Eine erhöhte Ambiguitätstoleranz ist allerdings generell vorteilhaft für Menschen, die sich näher mit dem Thema Innovation auseinandersetzen.
Womit sollten Unternehmen in einem ersten Schritt beginnen, wenn Sie sich für diesen Ansatz zur Innovation interessieren, aber noch keine Erfahrungen damit haben?
Ich würde den Besuch eines Design-Thinking-Workshops empfehlen, um erste persönliche und praktische Erfahrungen mit dem Ansatz machen zu können. Das muss kein zeitaufwändiger Workshop sein – es gibt Formate, die nicht länger dauern als 90 Minuten. Das reicht, um einen ersten Eindruck und eine Idee von diesem Ansatz zu bekommen und ist auch online möglich.
Was sind die häufigsten Fehler, die beim Implementieren dieses Ansatzes in der Praxis gemacht werden?
Schlechte Vorbereitung hinsichtlich der Fragestellung, die bearbeitet werden soll. Wird sie zu eng formuliert, kommen keine kreativen Ideen heraus. Wird sie zu weit formuliert, bleiben die Ideen und Lösungsansätze zu abstrakt. Was mir persönlich immer ein wenig leid tut: Ich höre manchmal, dass Firmen schon für gewisse Probleme eine passende Lösung parat haben und dann trotzdem noch einmal mit dem Team einen Design-Thinking-Prozess durchlaufen. Das kann dann leider so interpretiert werden, dass das Unternehmen seine Mitarbeiter*innen nicht ernst nimmt.
Sind zielgerichtete Innovationsansätze wie Design Thinking zu abstrakt und komplex für Unternehmen, die sehr stark im Tagesgeschäft verhaftet sind und kaum personelle Ressourcen für Dinge haben, die über dieses hinausgehen?
Design Thinking ist für mich eine der besten Methoden, um schnell und effizient für ein komplexes Problem Lösungen zu erarbeiten. Es ist nicht das Allheilmittel für alle Probleme und am Anfang mag die Herangehensweise ungewohnt sein. Gibt es aber eine kleine Taskforce im Unternehmen, die regelmäßig mit der Methode arbeitet, kann damit viel bewegt werden.
Setzt Design Thinking eine funktionierende Fehlerkultur im Unternehmen voraus?
Nein, nicht zwangsläufig. Allerdings werden in einem Design-Thinking-Prozess viele Ideen generiert und wieder verworfen. Es dürfen Fehler gemacht werden, es geht aber darum, diese möglichst schnell zu erkennen und zu verbessern. Teams, die eine gute Fehlerkultur haben, sind in diesem Prozess schneller und effizienter.
Design Thinking ist zunächst ein auf menschliche Bedürfnisse fokussierter Ansatz. Kann der technologische Fortschritt – zum Beispiel beim Rapid Prototyping mittels 3D-Druck – diesen Ansatz besser und effizienter machen?
Der technologische Fortschritt kann sicherlich eine Unterstützung sein. Der große Wert des Design Thinking liegt unter anderem darin, dass ein Problem sehr gut von allen Seiten untersucht und beleuchtet wird – und dies viele Male vorwärts und wieder zurück während des Prozesses. Und gerade dieser Teil des Prozesses ist meiner Meinung nach auch – noch – nicht mit KI abbildbar.
Interview: Marian Kröll