Braungebrannt entsteigt Samuel König einem unscheinbaren weißen Lieferwagen. Er hat seit einiger Zeit wieder festen Boden unter den Füßen und die Tiroler Berge vor Augen. Das war in den vergangenen 15 Jahren meistens nicht der Fall. Die hat der gelernte Tischlermeister nämlich im Wortsinn über weite Strecken auf hoher See und in den Yachthäfen dieser Welt verbracht. Einige Jahre davon als Contractor, als Vertragsarbeiter, einige als Crewmitglied in der Funktion eines Fleet Carpenters, sinngemäß Flottentischler, zuletzt auf der größten Segelyacht der Welt und ihrem motorisierten Schwesterschiff.
Es waren bei weitem nicht die einzigen Yachten, auf denen König seit 2010 – damals begann sein Abenteuer mit Schiffstischlerei und Touch-Up – intensiv Hand angelegt hat. „Sucht man im Netz nach den 50 größten und luxuriösesten Yachten der Welt, habe ich auf den meisten von ihnen schon einmal gearbeitet”, sagt er, der sich an Bord auf die Kunst des Touch-up – der Oberflächenreparatur bzw. Retusche – spezialisiert hat und immer dann zu Hilfe gerufen wurde, wenn es galt, im luxuriösesten Ambiente, das man sich als Normalsterblicher nur irgend vorstellen kann, die Kohlen aus dem Feuer zu holen und heikle Ausbesserungsarbeiten durchzuführen. Feinarbeit, die nach Geschick und Erfahrung verlangt, eine ruhige Hand und einige Coolness erfordert.
Samuel König hat von alledem reichlich. Der Tiroler ist von Natur aus ein lässiger Typ. Und er ist, was die Arbeit auf einem Schiff nicht unbedingt erschwert, im und auf dem Wasser ganz in seinem Element. Denn Samuel König ist unter anderem Kite- und Tauchlehrer. Doch bevor er in See stechen durfte, hat sich der Tiroler an Land in seinem Handwerk seine Sporen verdient. Als Geselle bei der Holzmanufaktur und Vitrinenbau Auer GmbH und bei Gerhard Höckner in dessen Werkstatt in Innsbruck. Das Abenteuer begann aber erst so richtig, als Samuel König den Meisterbrief in der Tasche hatte. Es ist ihm beruflich stets zugutegekommen, dass er das Tischlerhandwerk in seiner klassischsten Form von der Pike auf gelernt hat. Später entwickelte er – seiner Affinität zum nassen Element geschuldet – Kiteboards. „Ich habe im Zuge meiner Zusammenarbeit mit einem Sportler, der bei Burton unter Vertrag war, die Technik der Slalomboards teilweise in die Kiteboards überführt und auch Prototypen für größere Hersteller entwickelt“, erzählt der umtriebige Handwerker und Sportler. Diese Technologie – Epoxidharz, Karbon, Kevlar, alles unter Vakuum verarbeitet – eignet er sich an und macht sie sich im Möbelbau zunutze. „Ich habe witterungsbeständige Designermöbel für den Außenbereich hergestellt.“ Eine deutsche Firma, die renommierte Deutsche Werkstätten Hellerau nämlich, wird auf Königs Talente aufmerksam und wirbt immer wieder um die Dienste des Tirolers. „Ich war damals selbstständig, hatte meine Tischlerei und meine Kiteboards und war damit gut beschäftigt“, denkt König zurück. Schließlich gibt er den beharrlichen Anwerbeversuchen aus Dresden doch nach und verändert sich beruflich.
Die Reise beginnt
Rund ein Jahrzehnt lang sollte König in Diensten der deutschen Tischlerei stehen und baute dort die Abteilung Client Liaison auf, die sich auf die Einrichtung der exquisiten Eignerbereiche von Superyachten sowie auf die erstklassige Nachbearbeitung – Touch-Up – spezialisiert hat. Der Eignerbereich auf einer solchen Yacht darf kosten, was er eben kostet. Anders gesagt: Das Beste ist gerade gut genug. In diesem Bereich ist die Deutsche Werkstätte Hellerau eine der globalen Topadressen. Der Gästebereich ist immer noch auf sehr hohem Niveau eingerichtet, der Crewbereich soll dagegen zweckmäßig und möglichst günstig sein.
Gewissermaßen war Samuel König der Troubleshooter, der Feuerwehrmann, der gerufen wurde, wenn es irgendwo gebrannt hat. Wenn es mit der Einrichtung ein Problem gab, hat der Tiroler es rasch, qualitätsvoll und diskret gelöst. „Gleich im ersten Jahr bei den Deutschen Werkstätten Hellerau habe ich in Russland das Privathaus eines sehr profilierten Mannes betreuen dürfen und dabei sowohl Produktion als auch Montage übernommen“, erinnert er sich. Um wen es sich dabei gehandelt hat, darf der Tischlermeister nicht verraten. Einmal musste König ausrücken, weil es ein Problem beim Gründer eines Softwarekonzerns gegeben hatte, der mit einer Arbeit nicht zufrieden gewesen war. „Ich bin dorthin gefahren, habe den Kunden besänftigt und musste eine Arbeit, die von einem anderen Tischler gemacht worden war, mit den gleichen Teilen besser machen.“ Besonderen Druck habe er deswegen jedoch keinen verspürt, beteuert der Tischlermeister. Ein anderes Mal wurde König nach Vanuatu, einen winzigen Inselstaat im Südpazifik, beordert, um dort auf einer Yacht Hand anzulegen. „Eine Stewardess hat in einem Treppenhaus, das aus sieben Stockwerken mit lauter Glasböden bestand, eine Flasche Wein fallen lassen. Eine große Scheibe ging dabei kaputt und ich wurde gerufen, um diese auf dem schnellsten und effizientesten Wege auszutauschen, nachdem sich der Eigner angekündigt hatte“, erzählt König. Häufig konnte er aufgrund der internationalen Regeln im Luftverkehr sein eigenes Werkzeug nicht mitnehmen, sondern musste das Auslangen mit dem finden, was an Bord verfügbar war. Dabei war, wie man sich gut vorstellen kann, öfter als einmal Improvisationstalent gefragt.
Absoluter Luxus
Samuel König hat als Contractor auf den Luxusyachten die Meere und große Teile der Welt gesehen. Zu tun gibt es auf einer derartigen Yacht mehr als genug. Zu einem Schiff, auf dem er längere Zeit verbracht hat, hat König im Laufe der Zeit auch eine emotionale Bindung aufgebaut. Er ließ sich deshalb sogar ein Tattoo mit dem überaus kurzen Namen der Yacht stechen.
Für einen Tischler ist die Arbeit auf einer Yacht auch insofern eine Herausforderung, als dass echtes, massives Holz dort aus Brandschutzgründen nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen darf. Stattdessen wird überwiegend auf hauchdünne Furniere zurückgegriffen, um Holzoptik zu erzeugen. „Diese Yachten dürfen pro Raum einen Holzanteil von maximal fünf Prozent haben. Man arbeitet dementsprechend viel mit Metallen, vor allem Aluminium“, erzählt König, der sich auch aus diesem Grund zusätzlich auf die Sparte Touch-Up spezialisiert hat. „Ob normales Holz, Hochglanzlacke, Marmor und teilweise auch Gold, ich habe Retusche auf so gut wie allen Oberflächen gemacht. Es kam mir anfangs tatsächlich zugute, dass man im Tischlerberuf lernt, kleinere Schäden in Holz auszukitten und die Oberfläche originalgetreu wiederherzustellen“, versichert König. Bei einem Unternehmen, das zufällig den gleichen Namen trägt – König –, absolviert er einige einschlägige Ausbildungen und gibt sein Wissen um die filigrane Kunst des Touch-Up mittlerweile auch gerne weiter.
Als weitere Herausforderung des Jobs auf See kommt dazu, dass tatsächlich alles, was nicht niet- und nagelfest ist, für etwaigen rauen Seegang befestigt werden muss. Seafastening heißt das in der Fachsprache. Das wirkt sich auch auf einen weiteren Aufgabenbereich aus, den Samuel König an Bord zweier Luxusyachten übernehmen durfte. „Ich war für die Kunstsammlung an Bord verantwortlich und habe in dieser Funktion auch mit großen Auktionshäusern wie Christie‘s und Sotheby‘s zusammengearbeitet. Bei derart wertvollen Kunstwerken kannst du am Schiff nicht einfach einen Nagel einschlagen und hoffen, dass das schon irgendwie halten wird“, erzählt der Weitgereiste. Das Kunstwerk muss vor einem Vorhang platziert werden und ist dadurch mindestens dreißig Zentimeter von der Wand entfernt anzubringen. „Unter diesen Voraussetzungen hatte ich millionenteure Kunstwerke aufzuhängen, die noch dazu seesicher sein mussten.“ Dafür baute König eigene Konstruktionen und musste auch an den Bildern selbst Hand anlegen. Doch selbst diese grundsätzlich nervenaufreibende Arbeit mit millionenteuren Werken weltbekannter Künstler konnte ihn nicht aus der Ruhe bringen.
Hierarchie und Knigge
In den Kreisen, in denen sich der Tiroler Tischlermeister in den vergangenen Jahren bewegt hat, ist nebst Diskretion auch die Akzeptanz von klaren Hierarchien gefragt. Ein Schiff funktioniert nicht, wenn es vom Kapitän bis zur Deckhand keine klare Rollenverteilung gibt. „Sobald man die Gangway betritt, taucht man in eine eigene Welt ein“, beschreibt es König. Eine Welt, in der es klar definierte Verantwortlichkeiten gibt. Stundenzettel im klassischen Sinn gibt es dagegen nicht. Gut, dass das österreichische Arbeitsrecht in internationalen Gewässern nicht zur Anwendung gelangt. „Es gibt nur die ‚Hours of Rest‘, damit sich der Kapitän ansehen kann, wer gerade Pause hatte und verfügbar ist. Grundsätzlich gilt an Bord 24/7. Wenn es um drei Uhr nachts ein Problem gibt, muss man aufstehen und es lösen“, beschreibt König die Arbeit am Schiff. Dort geht es ansonsten konzentriert und ruhig zur Sache. „Der Knigge wird hier hoch gehängt, wer sich danebenbenimmt, geht von Bord“, sagt er.
Der Kontrast zwischen Arm und Reich tritt in manchen Weltgegenden noch deutlicher und eindrücklicher zutage als hier im Westen und kaum irgendwo wird Reichtum opulenter zur Schau gestellt als auf einer Superyacht. Diesbezüglich vertritt Samuel König eine klare Auffassung, die er auch den Leuten, die ihm unterstellt waren, mitgegeben hat: „Die Frage nach dem ‚Warum‘ gibt es hier nicht. Das hat in dieser Welt nichts verloren. Man muss in dieser Hinsicht seinen Kopf ausschalten und stattdessen seine Arbeit in höchster Qualität abliefern.“ Auch in Bezug auf die ästhetischen Qualitäten dieser Yachten maßt sich Samuel König kein Urteil an. „Ob mir etwas gefällt oder weniger, spielt keine Rolle.“ Derartige Überlegungen liegen weit über der Gehaltsstufe eines Fleet Carpenters.
Traumschiff statt Odyssee
Sam, wie Samuel König von Freunden im Englischen gerufen wird, hat auf hoher See nicht etwa eine Odyssee erlebt, sondern seine Arbeit und das Leben auf See waren eher der Sparte Traumschiff zuzurechnen. Herzeigbar ist Königs durchaus abwechslungsreiche Arbeit auf den Yachten der Höchstbetuchten allerdings nicht. Nicht etwa deshalb, weil sie nicht von höchster Qualität gewesen wäre, sondern aus dem einfachen Grund, dass absolute Diskretion in diesen elitären Zirkeln nicht nur Ehrensache, sondern mittels NDAs – non-disclosure agreement, eine Geheimhaltungsvereinbarung – auch vertraglich abgesichert ist. „Ohne ein NDA zu unterschreiben, kannst du keine Sekunde auf solchen Yachten arbeiten“, sagt König, der selbst die Ausbildung zum Seefahrer absolviert hat, damit er vom Contractor mit eingeschränktem Aktionsradius zum vollwertigen Crewmember, der permanent, auch bei rauer See, an Bord bleiben darf, werden konnte.
Word travels fast
Bewerbungsschreiben musste Samuel König, als er wieder den festen Boden seiner Tiroler Heimat betreten und seinen Lebensmittelpunkt hierher zurückverlegt hat, nicht verfassen. Die Elite ist anscheinend bestens vernetzt, und – wie es im Englischen so schön heißt – Word travels fast. Ein wenig Mundpropaganda wurde verbreitet und schon hatte König gleich mehrere an seiner Arbeit interessierte potenzielle Kunden an der Angel. „Schon während der Übersiedlung habe ich mehrere Angebote bekommen“, sagt er. Geworden ist es vorerst doch wieder die Hohe See, atemberaubender Luxus und einzigartige Yachten. Seine Ausbildung zum Seefahrer vergleicht der Tiroler mit einer Feuerwehrausbildung. Löschen, Suchen und Bergen spielen darin eine prominente Rolle. Seinen ultimativen Qualitätsanspruch aus dem Superyacht-Bereich überträgt er heute kompromisslos auf heimischen Boden. „Heutzutage kann fast jede Tischlerei fast alles produzieren. Letztlich kommt es aber darauf an, wie es montiert wird“, so König, der gerade bei den Montagetischlern einen eklatanten Fachkräftemangel ortet. Auch hier gilt wohl die alte Wendung: „You pay peanuts, you get monkeys.“
Mit seinem erworbenen Wissensschatz hält Samuel König nicht hinterm Berg. „Ich liebe es, mein Wissen weiterzugeben, und habe auch früher schon viel mit Lehrlingen gearbeitet.“ Sein Spezialwissen rund um die Oberflächenreparatur würde er dementsprechend gerne weitergeben. Das Handwerk sieht König gerade in Westösterreich noch auf goldenem Boden. Es gelte gerade deshalb, verstärkt über den Tellerrand zu blicken: „Es gibt mehr als die mitteldichte Faserplatte.“
Der Tischler und das Meer
Poseidon, der Gott des Meeres, hat es bislang gut gemeint mit dem Tischlermeister aus den Alpen. Deswegen wird auch der Ruf der See in Königs Kopf wohl nie ganz verstummen und der Tischler arbeitet ab und zu auch weiterhin auf Yachten, wenn sich die Gelegenheit ergibt. König hat auf See und teils auch an Land für fast jeden gearbeitet, der in der Welt des Luxus Rang und Namen hat. Seine Kunden sind folglich im Forbes-Ranking zu finden. „Irgendwann ist aber der Moment gekommen, an dem ich die Berge meiner Heimat vermisst habe. Es ist schön, wieder zu Hause zu sein.“ Er ist wieder da, und wäre man ein Mäuschen, könnte man ihn wohl in so manchem Chalet im Alpenraum bei der Arbeit zusehen. An die große Glocke wird er das aber nicht hängen, weil – neben hoher Qualität und Zuverlässigkeit – in seinem Metier Diskretion das Maß der Dinge ist.
Text: Marian Kröll