Wie die unmittelbare wirtschaftliche Zukunft aussehen könnte, hat sich Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek bereits Anfang Oktober angesehen. Damals war von weiteren Lockdowns noch nicht die Rede, in seiner damaligen Analyse ging Brezinschek jedenfalls davon aus, dass das laufende Jahr mit einem BIP-Wachstum von 4,5 Prozent abschließt und es in dieser Tonart weitergehen wird. Mindestens.
Es ist tatsächlich bemerkenswert, dass sich die Weltwirtschaft im Vorjahr mit ungekannter Dynamik erholt hat und bereits nach sechs Monaten das Vorkrisenniveau erreicht wurde. Der Chefanalyst geht sogar davon aus, dass für die kommenden zwei bis drei Jahre mit einer – Trommelwirbel – Hochkonjunktur zu rechnen sein wird. Tirol gelange im Jahr 2022 wieder auf die Überholspur und dürfte Gesamtösterreich und die Eurozone mit einem Plus zwischen sechs und sieben Prozent deutlich übertreffen. Revidieren will Brezinschek auf Nachfrage seine Prognose vom Oktober angesichts der jüngsten negativen pandemischen Entwicklungen einstweilen noch nicht, seien doch gewisse Faktoren ohnehin bereits in die ursprüngliche Prognose eingepreist. Ein genereller, mehrwöchiger Lockdown aber eben noch nicht.
Zu einigem Optimismus veranlasst sieht sich der Analyst durch die Erfahrungen der vorherigen Lockdowns. Die Wirtschaft und in noch viel weitreichenderem Ausmaß das gesellschaftliche Leben kamen zwar abrupt zum Erliegen, setzten aber nach Aufhebung der Maßnahmen ebenso rasch wieder zum Höhenflug an. Die ökonomischen Aufholprozesse finden in erfreulich hohem Tempo statt, lehrt die Erfahrung seit Beginn der Pandemie. Brezinschek weist auch darauf hin, dass die Ersparnisse, die von den Menschen im Lauf des Jahres 2020 angesammelt wurden, erst teilweise wieder in der Wirtschaft angekommen sind. Allgemein darf man aber davon ausgehen, dass die Sparquote in den kommenden Jahren über dem Vorkrisenniveau bleiben wird. Hier manifestiert sich vor allem der Gedanke, für schlechte(re) Zeiten Vorsorge zu treffen. Im Raiffeisen-Sektor geht man davon aus, dass die Dynamik der heimischen Konjunktur im Jahresverlauf 2022 abnehmen, aber mit 4,5 Prozent einen halben Prozentpunkt über dem Niveau der Eurozone bleiben wird. „Wenngleich die stärksten Wachstumsraten bereits wieder hinter uns liegen, ist der Aufschwung 2022 breit angelegt. Wachstumsmotoren sind Investitionszyklus, Baubranche und der prosperierende Welthandel“, ist Brezinschek überzeugt.
Markus Sappl, Regionaldirektor Firmenkunden Austria West bei der Bank Austria, erwartet für das kommende Jahr sogar ein Wachstum von fünf Prozent für Österreichs Wirtschaft, auch wenn das Tempo der Erholung derzeit nachlasse. Vom starken privaten Konsum über den Sommer zeigt sich Sappl „ein wenig überrascht“, aber grundsätzlich hätten die Ökonomen der UniCredit Bank Austria „bereits im Herbst vergangenen Jahres mit fünf Prozent Wirtschaftswachstum für 2021 gerechnet“. Sappl geht weiterhin davon aus, dass diese Prognose halten wird und der Aufschwung sich 2022 kräftig fortsetzt, rechnet allerdings, ebenso wie Brezinschek, mit nachlassender Dynamik.
Fix ist das alles freilich nicht, wie auch Markus Sappl zu Bedenken gibt: „Ein anhaltender Aufschwung über mehrere Jahre ist derzeit noch nicht gesichert, dafür müssen einige positive Faktoren wie der Pandemieverlauf, die Wirtschaftspolitik und auch die Weltpolitik zusammenkommen.“ Der Pandemieverlauf indes ist derzeit bekanntermaßen denkbar ungünstig. Klaus Schaller, Leiter der Region West beim Kreditschutzverband von 1870, hält die Konjunkturaussichten aufgrund der bekannten Unwägbarkeiten folglich für „schwer abschätzbar“. Aktuell gelte es vielmehr abzuwarten, in welchem Ausmaß sich die momentane COVID-19-Entwicklung auf die Unternehmen auswirken werde. „Grundsätzlich haben wir zuletzt einen je nach Branche kräftigen wirtschaftlichen Aufschwung wahrgenommen, der jedoch nach wie vor am seidenen Faden hängt. Hier wird einiges an Innovation, politischer Stabilität und Ressourcen notwendig sein, um eine nachhaltige Stabilität zu erreichen“, ist Schaller überzeugt, dass ein etwaiges Konjunkturhoch kein Selbstläufer sein wird.
Die Wirtschaft hat sich als erstaunlich und erfreulich widerstandsfähig erwiesen und es deutet wenig darauf hin, dass sich das plötzlich, Lockdown hin oder her, geändert haben könnte. Für Stefan Garbislander, den Chefvolkswirt der Wirtschaftskammer Tirol, ist auch dieses allgemeine Zusperren noch kein Grund, den „Optimismus über Bord zu werfen“. Entscheidend werde nun sein, so Garbislander, wie dieser erneute Lockdown wirke und ob es zu einer Stabilisierung der Infektionszahlen und Hospitalisierungen komme. „Der wichtigste Tourismusmonat in Tirol ist der Februar. Sollte es nicht wieder zu einem Komplettausfall der Wintersaison kommen, wird es 2022 jedenfalls ein kräftiges Wirtschaftswachstum geben“, sagt der Ökonom.
Was die Stabilität der Konjunktur betrifft, gibt es unter den Experten unterschiedliche Einschätzungen. Die Tendenz ist allerdings durchwegs positiv. Während Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek davon ausgeht, dass die Konjunkturparty zwei, vielleicht sogar drei Jahre anhalten könnte, geben sich andere skeptischer. Insgesamt sieht es trotz vieler regionaler und großer, weltumspannender Herausforderungen wie Corona, Lieferketten oder Klimawandel momentan danach aus, als würde 2022 – um die Diktion eines Ex-Bundeskanzlers zu bemühen – zumindest wirtschaftlich „eine coole Zeit“ vor uns liegen. Darüber hinaus gilt weiterhin unverzagt die Devise: Hinfallen, (immer wieder) aufstehen, Corona richten, weiterleben.
Text: Marian Kröll