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Geld

Rückkehr zur geldpolitischen Normalität

1.7.2022

eco.nova: Die Zinswende steht vor der Tür. Mit wie vielen Zinsschritten rechnen Sie heuer und auf welches Niveau?

Robert Holzmann: Nach den letzten und entschiedenen Schritten der US-Notenbank FED würde ich sagen, die Zinswende steht nicht mehr nur vor der Tür, sie ist bereits im Gange. Wir haben uns im EZB-Rat auf einen ersten Zinsschritt von 0,25 Prozent im Juli geeignet und ich könnte mir gut vorstellen, dass hier noch zwei weitere Zinsschritte dieses Jahr folgen. In welcher Höhe, wird noch zu diskutieren sein, aber wir sollten jedenfalls zu Jahresende klar die Ära der Negativzinsen hinter uns gelassen haben.

Warum agiert die EZB im Vergleich zur FED zurückhaltender, was sowohl den Zeitpunkt als voraussichtlich auch das Ausmaß von Zinserhöhungen betrifft?

Die Politik der FED ist aus mehreren Gründen nur bedingt mit den jetzigen Handlungen der EZB vergleichbar. Ein wesentlicher Faktor ist sicher der unterschiedliche Konjunkturzyklus, in dem sich die USA bewegen. Hinzu kommt, dass in den USA beispielsweise die Kerninflation deutlich höher liegt als in Europa, also die Inflation ohne Einfluss der Energie- und Nahrungsmittelpreise gerechnet. Zudem sind die USA weniger vom Ukraine-Krieg betroffen und dann gäbe es noch eine ganze Reihe weiterer Faktoren.

Was ist das erklärte Ziel dieser zu erwartenden Leitzinserhöhungen?

Kurzfristig sind die Leitzinserhöhungen ein wesentlicher Bestandteil eines Maßnahmen-Mix, um die Inflation wieder mittelfristig dem Zielwert von zwei Prozent anzugleichen. Längerfristig geht es hier grundsätzlich um die Normalisierung der Geldpolitik, eine Rückkehr zu einer positiven Zinsstruktur, eine Angleichung an den neutralen Zins und – ebenfalls wesentlich – einen Anreiz, wieder zu sparen.

Welche Konsequenzen aus kommenden Leitzinserhöhungen erwarten Sie für die Wirtschaft auf der einen und für die privaten Kreditnehmer auf der anderen Seite?

Ich denke, dass die Wirtschaft mittlerweile diese Erhöhungen bereits erwartet und sich darauf eingestellt hat. Für private Kreditnehmer wird vor allem im Immobiliensektor entscheidend sein, ob sie einen fix oder variabel verzinsten Kredit aufgenommen haben. Ein variabel verzinster Kredit wird sich voraussichtlich verteuern.

Wie sehr achtet die EZB bei ihren inflationsdämpfenden Zinsentscheidungen auf die Konjunkturentwicklung bzw. darauf, die Konjunktur nicht abzuwürgen?

Wir beobachten die konjunkturelle Lage natürlich sehr genau, glauben aber derzeit, dass die Wirtschaft sich nach der Pandemie wieder gut erholen konnte. Allerdings ist der konjunkturelle Aufschwung in manchen Branchen noch schwach oder steht erst am Anfang. Hier werden wir besonders darauf achten, wie sich die Lage entwickelt.

Ist die Berücksichtigung der konjunkturellen Lage überhaupt ein offizielles Kriterium in den Zinsentscheiden der EZB oder doch eher ein informelles?

Das Mandat der EZB lautet ganz klar Sicherstellung der Preisstabilität. Danach richtet sich ihre Politik. Die konjunkturelle Lage fließt insofern ein, als diese etwas zeitverzögert auf die Preisstabilität wirkt. So wirkt beispielsweise eine schwächere Konjunktur grundsätzlich preisdämpfend.

Inwieweit findet die hohe Staatsverschuldung im Euroraum, die längst die Maastricht-Kriterien zur Makulatur gemacht und durch die Pandemie weiter dynamisch gewachsen ist, bei der Festlegung des Leitzinssatzes Berücksichtigung?

Zunächst glaube ich nicht, dass die Maastricht-Kriterien Makulatur sind, wie Sie das bezeichnen. Natürlich werden diese – wie im Maastricht-Vertrag vorgesehen – in Sondersituationen wie wirtschaftspolitischen Schocks diskutiert und gegebenenfalls temporär ausgesetzt, aber sie sind keineswegs überflüssig, ganz im Gegenteil. Zweitens kann und wird sich der Leitzins nicht nach der Verschuldung einzelner Länder richten.

Mittlerweile wird erwartet, dass die hohe Inflation kein rasch vorübergehendes Szenario sein wird, zumal sie multikausal ist und die Ursachen nicht allein hausgemacht sind. Halten Sie die derzeit herrschende hohe Inflation für vorübergehend oder gefestigt?

Ich glaube, dass die Inflation in dieser Höhe, in der sie sich jetzt im Juli befindet, nicht von Dauer sein wird. Wir gehen davon aus, dass sie in den kommenden zwei Jahren wieder deutlich sinken wird. Das hängt mit einer voraussichtlichen Entspannung bei den Lieferketten zusammen, hängt aber auch natürlich mit den Energiepreisen zusammen. Last, but not least wird auch eine klar und glaubwürdig agierende Geldpolitik zur Preisstabilität beitragen.

Bis wann erscheint Ihnen eine Rückkehr in die Nähe des Inflationsziels der EZB um die zwei Prozent realistisch?

Innerhalb der nächsten zwei Jahre sollte eine Annäherung an diesen Wert möglich sein – soweit keine neuen unvorhersehbaren wirtschaftspolitischen Schocks eintreten.

Sehen Sie, was die Möglichkeit einer kommenden Stagflation betrifft, Parallelen zu den 1970er-Jahren?

Nein.

Steht den Notenbanken 2022 angesichts überschuldeter Mitgliedsstaaten im Euroraum noch annähernd dasselbe Instrumentarium wie in den 1970ern zur Verfügung, um die Inflation zu bekämpfen?

Ja. In den 1970ern waren eine ganze Reihe anderer Instrumente noch nicht verfügbar, über die Zentralbanken heute verfügen. Das beginnt mit Sonderprogrammen wie dem Pandemieprogramm PEPP und geht bis zu TLTRO-Programmen. Gegen hohe Inflation steht Notenbanken das volle Instrumentarium – vor allem hinsichtlich höherer Zinsen – zur Verfügung. Hinzu kommt: Die Rahmenbedingungen haben sich seit damals entscheidend geändert – politisch wie wirtschaftlich.

Sehen Sie die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale bzw. Preis-Lohn-Spirale?

Derzeit nicht. Ich gehe davon aus, dass die Sozialpartner die in Österreich vorherrschende gute Tradition verantwortungsvoller Lohnabschlüsse fortsetzen werden.

Gegenüber dem Zeitraum vor den letzten Krisen – beginnend bei der Weltwirtschaftskrise 2008 – hat sich die Zentralbankgeldmenge im Euroraum absolut beinahe versiebenfacht und relativ zur Wirtschaftsleistung immer noch fast versechsfacht. Das ist hauptsächlich dem Kauf von Staatsanleihen durch die EZB im Rahmen diverser Programme geschuldet. Kann es überhaupt eine Abkehr von dieser Politik des billigen Geldes geben, ohne schwere ökonomische Kollateralschäden zu verursachen?

Ich bin hier zuversichtlich. Es liegt im Wesen der geldpolitischen Aktionen von Zentralbanken, dass die Bilanzsummen steigen und dann wieder sinken. Ohne diesen Spielraum könnten Notenbanken nicht tätig werden. Es ist richtig, dass die Bilanzen der großen Zentralbanken in den vergangenen Jahren stark angewachsen sind, das hängt auch und vor allem mit der Unterstützung der Pandemiebekämpfung zusammen. Mittlerweile hat sich die Wirtschaft wieder erholt, die konjunkturellen Aussichten sind in vielen Branchen durchaus gut und es geht jetzt darum, die Konsolidierung einzuleiten. Diese sollte auch ohne ökonomische Kollateralschäden gelingen.

Steht am Ende einer Rückkehr zur geldpolitischen Normalität in der Eurozone eine Transferunion?

Das glaube ich nicht und das würde – nicht nur in meinen Augen – einen Widerspruch zu einer „Rückkehr zur geldpolitischen Normalität“ darstellen.

Kann es gelingen, die Inflation einzudämmen, ohne dabei die Wirtschaft auf Talfahrt zu schicken?

Ja, wenn entschieden genug gehandelt wird. Ich denke, wir sind hier auf einem guten Weg.

Wie stehen Sie zum Thema Digitale Zentralbankwährungen (CBDC)?

Wir haben hier in der EZB eine Untersuchungsphase eingeleitet und sehen uns ganz genau an, was so eine Digitale Zentralbankwährung oder Central Bank Digital Currency (CBDC) können müsste und unter welchen Bedingungen eine Einführung einer derartigen Währung Sinn machen würde. Danach werden wir uns entscheiden, ob wir in eine Realisierungsphase eintreten. Generell gilt, dass vor allem die Privatsphäre und die Sicherheit jedes einzelnen Nutzers einer solchen Währung gewährleistet sein müssen.

Interview: Marian Kröll

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