Elisabeth „Betty“ Pöll wurde von der Muse geküsst, als die einsetzende Pandemie dem gewohnten Leben vorübergehend ein jähes Ende machte und für eine Zeit lang plötzlich alles anders war. Die junge Kirchbergerin, die als Fotografin und Grafikerin auch von Berufs wegen in der Kreativbranche tätig ist, hat die virale Zwangspause dahingehend genutzt, wieder mehr mit ihrer künstlerischen Ader in Berührung zu kommen, die in den festgefahrenen Routinen des Alltags auch bei kreativen Menschen manchmal zu versiegen droht.
Mit dem Malen so richtig begonnen hat Betty im Wipptal, ihrer zweiten Heimat. Das dortige Atelier ist schnell zu klein geworden, weshalb die Künstlerin heute in einem durchaus ungewöhnlichen, aber erdig-charmanten Ambiente ihre Staffelei aufgestellt hat: In einem kurzerhand zum Atelier umfunktionierten ehemaligen Kuhstall. „Vor zwei Jahren hatten wir noch Tiere hier“, sagt sie. Daran muss nicht erinnert werden, ist der große Raum doch noch genauso eingerichtet wie ein typischer Stall und könnte bei Bedarf rasch wieder Tiere beherbergen. Als Raum für Kunst ist der Stall erfrischend unkonventionell und, das wird beim Blick auf Betty Pölls Bilder klar, eine durchaus inspirierende Umgebung.
Die rückwärtige Wand des Futterbarns bietet einige „Arbeitsplätze“ für gleichgesinnte Maler*innen oder solche, die es noch werden wollen und mit Betty Pöll gemeinsam ihrer Kreativität auf der Leinwand freien Lauf lassen möchten. Wer seine Gedanken, Gefühle und Impulse auf die Leinwand bannt, dem kann das dabei helfen, den Kopf frei zu bekommen. „Bei Events mit mehreren Teilnehmer*innen geht es auch darum, Spaß zu haben und einmal auf den Putz zu hauen, beim Malen zu zweit oder bei kleineren Workshops gehe ich dagegen gerne in die Tiefe“, sagt die Künstlerin, für die sich die Malerei im breiten Spektrum zwischen Spaß, Party und meditativer Praxis, die auch der Selbstreflexion dient, abspielt.
Malen im Fluss
„Malen hat auch mit Mut zu tun. Anfangs war ich mit meinen Bildern meistens unzufrieden, weil ich es nicht geschafft habe, meinen eigenen Erwartungen gerecht zu werden“, erinnert sich Betty. Der kreative Befreiungsschlag gelingt ihr erst, als sie einfach ins Malen kommt, ohne vorher lang und breit über das gewünschte Endergebnis nachzudenken. „Das hat dazu geführt, dass nicht nur meine Kunst besser geworden ist, sondern ich mich beim Malen auch noch richtig gut gefühlt habe. Seither versuche ich, dieses Gefühl an andere Menschen weiterzugeben.“
Ihr Zugang ist es, nicht zu viel auf das Resultat des kreativen Prozesses zu schielen, sondern diesen selbst schätzen und genießen zu lernen, in die Farbe einzutauchen und einen Teil von sich selbst auf die Leinwand zu bringen. Ob das in abstrakter oder konkreter Manier geschieht, spielt eine untergeordnete Rolle. Wenn Betty Pöll malt, ist das auch eine sinnliche Angelegenheit, bei denen außer den typischen Malutensilien gerne die eigenen Hände zum Einsatz kommen. „Die Kunst ist es, nicht lange über verschiedene Techniken nachzudenken, sondern es einfach zu tun.“ So wie Autoren manchmal mit der Angst vorm leeren Blatt konfrontiert sind, kann auch eine weiße, makellose Leinwand respekteinflößend sein. „Es gibt Zeiten, da fällt mir der Einstieg schwerer, in anderen wiederum sprudelt es nur so dahin“, sagt Betty, die vor der Malerei bereits einiges an Erfahrungen mit digitaler Kunst gemacht hat.
Mit dem zunehmenden Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sind auch die Bilder, die Betty Pöll malte, nach und nach immer größer geworden. Wer Kunst schafft, gibt immer auch etwas von sich selbst preis und macht sich dadurch angreifbar. „Ich verbinde das Thema Malen auch mit Bewusstseinserweiterung. Ich hatte Sorge, deshalb als esoterisch abgestempelt zu werden, aber schon recht bald habe ich gemerkt, dass es den meisten Menschen gleich geht und es so etwas wie ein spirituelles Grundbedürfnis gibt“, erzählt die Künstlerin. Anfangs hat Betty Pöll für sich selbst gemalt, als „ernsthafte“, sprich vermarktbare Künstlerin hat sie erst das positive Feedback auf ihre Social-Media-Aktivitäten ausgewiesen. „Die Leute haben mich während der Pandemie via Social Media gefragt, ob sie meine Bilder auch kaufen können“, sagt die junge Malerin. Ja, das können sie. Inspiration holt sich Betty Pöll gern in der Natur, vor allem der Facettenreichtum des morgendlichen und abendlichen Himmels haben es ihr angetan. „Ich mag, welche ganz unterschiedlichen Farbstimmungen da manchmal zu sehen sind.“ Die Arbeit an der Leinwand hat auch in der Fotografie ihre Kreativität neu angefacht. „Die Power und die Lust sind da, kreativ zu sein und Neues zu versuchen”, sagt sie.
Betty Pöll freut sich darauf, ihre Kunst, die mittlerweile zu einem zweiten Standbein geworden ist, weiterzuentwickeln und unter die Leute zu bringen, etwa im Rahmen von Vernissagen und anderen Events. Sie hat keinerlei Scheu davor, die Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen aus der Gegend zu suchen. „Ich bin dankbar für jede Gelegenheit, meine künstlerische Arbeit hier in der Region zeigen zu dürfen“, sagt Pöll, die in der Vergangenheit bereits einige Möglichkeiten hatte, sich als Künstlerin zu profilieren. Die expressionistischen und farbenfrohen Bilder, die Betty in ihrem Kuhstall auf die Leinwand bringt, entfalten ihre ganze Wirkung erst so richtig, wenn man ihnen Raum gibt. Sie sind Ausfluss der jedem Menschen innewohnenden Schaffenskraft und strahlen dabei Zuversicht und Lebensfreude aus, sind Bild gewordener Beweis für eins: Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Die Kunst liegt im Tun, im Malen, im Flow.
Text & Fotos: Marian Kröll