Yoginī werden weibliche Yoga-Praktizierende genannt. Das Wort bedeutet auch „Zauberin“. Und das trifft im Kern, was Yoga ist und mit uns machen kann, wenn wir uns darauf einlassen. Yoga formt den Körper, reinigt die Gedanken und bereitet den Weg zu einem Ich, das wir so vielleicht noch gar nicht kennen. Das ist in der Tat zauberhaft. Und überhaupt nicht so esoterisch, wie es sich vielleicht anhört. Man muss nicht etwas werden, was man gar nicht ist. Man muss nicht Oms singen, asketisch leben, seine Wäsche mit Waschnüssen waschen und milde lächelnd quasi über dem Boden schweben. Das alles ist nicht Yoga. Zumindest kein praktikables. Trotzdem kann Yoga vieles verändern. Das war auch bei Marcel Clementi so. „Yoga beeinflusst, wie ich meinen Alltag gestalte, meine Ehe, die Art, wie ich auf meinen Körper achte“, sagt er. Der Tiroler ist (internationaler) Yogalehrer, unterrichtet auf Retreats, Events und in Ausbildungen, er ist YouTuber und hat ein Buch geschrieben. Sein „Good Vibes“-Podcast wurde im heurigen Frühjahr mit dem Ö3-Podcast-Award ausgezeichnet.
Lebenseinstellung
Yoga ist zum Trend geworden. Man gilt heutzutage als guter Mensch, wenn man sich körperlich in Form hält, eine gute Haltung hat und etwas ausstrahlt. Mit diesem Gedanken jedoch beschränkt man Yoga auf die körperliche Ebene. Das Praktizieren von Yogaübungen, den Asanas, ist aber nur die Spitze des Eisberges, unter Wasser gibt es noch sehr viel mehr. Und manchmal ist der Sprung von der körperlichen auf die Seelenebene auch nur ein kleiner Hopser. Aber einer, der viel verändern kann.
Nach einer Yogapraxis – egal ob in der Gruppe oder allein zuhause – beginnt man sich frisch und wach zu fühlen, sowohl geistig als auch körperlich präsenter. Und ohne dass man es bewusst angewandt hätte, beginnt Yoga in den Alltag einzufließen. Die typische ruhige Yogaatmung hilft auch beim Laufen oder Schwimmen oder in Situationen, die einen früher aufregten oder nervös gemacht haben. Das minutenlange Verharren in Dehnungen, wie man es etwa im Yin-Yoga praktiziert, lehrt, dass man aushalten kann. Nicht nur Körperhaltungen, sondern auch Situationen. All das mag banal klingen, tatsächlich ist es aber mehr als faszinierend, zu beobachten, wie tiefgreifend das Ausüben von Bewegungsmustern sich auf die Gesamtheit des Seins auswirken kann.
eco.nova: Wie bist du selbst zum Yoga gekommen?
Marcel Clementi: Meine Eltern hatten ein Obst- und Gemüsegeschäft. Ich habe dort mitgearbeitet, aber irgendwann für mich erkannt, dass die Übernahme des Betriebs nicht meine Zukunft ist. Als dann mein bester Freund bei einem Motorradunfall ums Leben gekommen ist, hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen und ich habe mich gefragt, was ich mit meinem Leben eigentlich anfangen möchte. Ich bin übers Yoga gestolpert und zu einer Stunde im Fitnessstudio gegangen. Das war allerdings nicht das richtige Setting für mich, sodass ich es wieder gelassen habe. Ich habe jedoch angefangen, zu meditieren. Schließlich bin ich auf Weltreise gegangen, hab ein One-Way-Ticket nach Australien gekauft, war surfen. Und schon dort meinten einige, Yoga passe tatsächlich sehr gut zu mir. Ich hab das nicht verstanden. Dann war ich in Thailand zum Thai-Boxen und kam auf Umwegen wieder zum Yoga zurück. Und es hat angefangen, mir zu gefallen. Ich bin nach Indien geflogen, habe die Ausbildung absolviert und mich ins Yoga verliebt. Jetzt gehe ich ins achte Jahr meiner Selbständigkeit.
Kannst du aus der Nachbetrachtung sagen, was an deiner ersten Yogastunde für dich verkehrt war? Muss man sich ans Yoga herantasten?
Es handelte sich damals um eine Vinyasa-Yoga-Einheit, also eine Form des körperlicheren Yogas. Ich hab nicht verstanden, was die Lehrerin von mir wollte und worum es geht. Beim Yoga gibt es zahlreiche Stile und es ist nicht einfach nur das Aneinanderreihen von Asanas. Wenn man als Neuling zum Yoga geht und in einer Einheit landet, die nicht zu einem passt – weil sie einen körperlich überfordert und man nicht die Entschleunigung findet, die man sucht, oder sie auf der anderen Seite vielleicht zu meditativ ist –, kann das kontraproduktiv sein. Das Spektrum ist breit und auch jeder Lehrer anders, deshalb ist es wichtig, nicht gleich nach der ersten Stunde aufzugeben.
Yoga hat sehr viele Ebenen. Wie viele davon haben tatsächlich eine körperliche Komponente?
Wenn jemand Yoga unter einem sportlichen und körperlichen Aspekt betreiben will, ist das völlig o.k. Ich habe meine Ausbildung mit Ashtanga-Yoga begonnen, das mitunter sehr temporeich und fließend ist. Yoga hält auch bei Ausdauer- und Kraftsportlern immer mehr Einzug – Fußballer, Eishockeyspieler oder Kampfsportler zum Beispiel bedienen sich an Yogaelementen, um beweglicher und flexibler zu werden und die Konzentration zu stärken. Wenn man es einmal ausprobiert hat, kommt man drauf, dass Yoga in der Tat gar nicht so verkehrt ist. Der meditative und spirituelle Aspekt braucht mehr Zeit, um sich zu entwickeln. Darauf muss man sich einlassen können.
Was ist die größte Lektion, die dich Yoga gelehrt hat?
Das bewusste Genießen des Moments. Von klein auf wird uns beigebracht, immer auf etwas hinzuarbeiten: auf gute Noten, einen Job, auf den Urlaub. Man lebt quasi nur mehr für die Zukunft. Yoga hat mir gezeigt, wie man im Moment ankommt, nicht ständig alles bewertet und plant, sondern beobachtet und spürt. Heutzutage sind wir ständig am Laufen, kommen aber nirgendwo an.
Yoga scheint immer noch sehr frauenlastig zu sein. Teilst du diese Beobachtung?
Ja, aber es beginnt, sich etwas zu verändern. Seit drei Jahren halte ich auch Yoga-Retreats ausschließlich für Männer ab, die sehr gut angenommen werden. Ich arbeite auch mit Unternehmen und Hotels zusammen. Letztlich ist Yoga für jeden geeignet. Es geht um Körperbewusstsein und die viel zitierte Achtsamkeit. Der Begriff wird mittlerweile fast wahllos herumgeworfen, das hat aber auch zur Folge, dass sich immer mehr Menschen damit beschäftigen.
Beschäftigen sich die Menschen tatsächlich mit dem Thema oder machen Sie einfach mit, weil Themen wie Yoga und Achtsamkeit gerade in Mode zu sein scheinen? Es ist kein besonders gutes Argument, etwas zu beginnen, nur weil es gerade alle machen. Mein Ansatz ist generell, zum Selberdenken anzuregen. Wenn es um die eigene Gesundheit geht, ist die ursprüngliche Motivation aber vielleicht gar nicht so wichtig. Hauptsache, man macht’s, und im besten Fall bleibt man dabei. Ich glaube auch nicht, dass Yoga ein Trend ist. Yoga ist ein Lebensstil und jeder pickt sich davon heraus, was für ihn passt.
Seit 2022 bist du Host deines „Good Vibes“-Podcasts. Wie kam es dazu?
Podcasts sind ein tolles Medium, um mehr zu erzählen, Inhalte zu transportieren und seine Ansichten zu teilen, die anderen im besten Fall helfen und sie motivieren. Gestartet als kleines Nebenprojekt, sind sie mittlerweile ein Teil meines Berufs geworden und eine meiner größten Leidenschaften.
War das Buch quasi die logische Konsequenz?
Es war immer mein Traum, ein Buch zu schreiben, und ein absolutes Herzensprojekt. Dann kam zur richtigen Zeit das passende Angebot vom Verlag. 2024 war ein echter Boost für meine Karriere und ein schöner Übergang ins nächste Jahr, in dem wir unser Kind erwarten.
Welche Werte möchtest du deinen Kindern mitgeben?
Das Allerwichtigste ist, authentisch zu sein und man selbst zu bleiben. Jeder Mensch ist anders und jeder darf sich so entfalten, wie er das möchte. Ehrlichkeit ist mir wichtig, zu dem zu stehen, was man sagt. Dazu gehört auch Herzlichkeit und ein liebevoller Umgang. Und Humor. Das alles versuche ich nach außen zu tragen, in allem was ich mache, und das möchte ich auch meinen Kindern weitergeben.
www.marcelclementiyoga.com
Interview: Marina Bernardi
Fotos: Wolfgang Jocher