Das Bauen in den Bergen hat in den Alpen seit dem Beginn im 19. Jahrhundert beachtlich an Bedeutung gewonnen. Bewohner*innen von Regionen wie Tirol, wo nur etwa zwölf Prozent dauerhaft zu besiedeln sind, streben seit jeher fast naturgegeben danach, immer mehr und immer professioneller in die Höhe zu bauen. Sie schufen und schaffen sich Orte zum Wohnen, Erforschen, Nutzen, Erobern und Sein. Und ganz besonders zum Einkehren. Vor allem der Tourismus hat für rege Bautätigkeiten in lichten Höhen gesorgt.
Berg-Pioniere
Die 1927/28 errichtete Nordkettenbahn in Innsbruck zählt nicht nur aus seilbahntechnischer Sicht zu den Pionierleistungen der alpinen Bergschwebeseilbahnen. Ihre besondere und bis heute ungebrochene Bedeutung liegt vor allem in der überragenden architektonischen Ausformung der Stationen im hochalpinen Raum. Architekt Franz Baumann, der als Sieger aus einem Wettbewerb für die Gestaltung der Stationen hervorhing, gelang vom Einfügen der Gebäude in die topografische Situation bis zur Detailgestaltung der Möbel und Innenausstattung ein architektonisches Gesamtkunstwerk internationaler Bedeutung. Auch zahlreiche (Schutz)Hütten sind wichtige Zeitzeugen und Vorbilder für modernes Bauen auf den Bergen. „Die traditionelle Hüttenarchitektur ist durchaus wertvoll und auch bemerkenswert, betrachtet man die damaligen Umstände und die Mittel, die dafür zur Verfügung standen”, sagt der Innsbrucker Architekt Reinhard Madritsch, der mit der Architektengemeinschaft Madritsch-Pfurtscheller selbst am Berg architektonisch aktiv ist. Und im Zuge seines Uni-Abschlussprojektes eine Hütte entwerfen wollte. Sein Professor riet ihm ab: „Schon vor 30 Jahren war die Rede davon, dass Hütten keine Zukunft haben und keine neuen mehr entstehen würden. Damals war eher die Idee, rückzubauen und die Natur wieder sich selbst zu überlassen.” Ganz so ist es dann doch nicht gekommen. Eher im Gegenteil: Vieles, was am Berg neu gebaut, umgebaut oder saniert wurde, wucherte aus, weil man sich zu wenig Gedanken ums Drumherum gemacht hatte. Um diese Auswüchse in den Griff zu bekommen und ein Stück Geschichte zu erhalten, wurden und werden immer mehr bestehende Hütten unter Denkmalschutz gestellt. Auch einen Ausbau der Essener-Rostocker-Hütte will man etwa auf diese Weise verhindern.
Berg-Bau 2.0
Die Herausforderungen, am Berg neu zu bauen indes sind groß. „Das fängt schon bei der Grundstücksituation an”, sagt Madritsch. Die Bauordnung gelte unten wie oben gleichermaßen, wenngleich es oben am Berg nicht immer so klar ist wie unten im Tal: „Als wir unsere Biwakschachteln bauen wollten, war das extrem kompliziert. Bis wir mit dem Bau starten konnten, sind zwei Jahre vergangen. Die erste Frage war: Wem gehört der Grund, auf dem wir bauen möchten? Frage zwei: Welche Widmung hat man hier oben auf 2.500 Metern? Um eine Widmung zu beantragen, muss das Grundstück erst vermessen werden. Vermessungen werden digital durchgeführt, doch hier oben gab’s kein Netz. Wir brauchten also eine Funkverbindung und zwei Tage, um ein simples Quadrat zu vermessen. Es war alles sehr absurd.” Bei bestehenden Hütten kommen oft verworrene Besitzverhältnisse hinzu. Erwähnte Essener-Rostocker-Hütte steht auf Österreichischem Gelände, gehört dem Deutschen Alpenverein und wird von der Sektion Essen betrieben und es ist nicht gesagt, dass die Sektion im Speziellen dieselben Interessen verfolgt wie der Alpenverein im Allgemeinen. Letzterer ist eher geneigt, Hütten rückzubauen, um wieder neue Naturräume entstehen zu lassen, was den Sektionen naturgemäß nur so minder gefällt. „Bei Schutzhütten gilt es immer, die unterschiedlichen Kulturen mitzudenken. Man muss nicht nur die Herausforderungen der Höhe und der Rahmenbedingungen berücksichtigen, sondern wird auch immer wieder mit den unterschiedlichsten Interessenkonflikten konfrontiert. Das ist nicht immer ganz einfach”, sagt Madrtisch. Trotzdem: Vielfach kommt man um eine Renovierung oder Sanierung nicht herum, weil nicht nur die Bau- sondern genauso auch die Gewerbeordnung am Berg gilt. Das heißt, dass zum Beispiel viele Küchen professionalisiert werden müssen, um den gesetzlichen Vorgaben zu entsprechen. „Und private Bauvorhaben am Berg sind ohnehin kompliziert. Bei Projekten wie Chalets oder Jagdhütten kommen meist noch ideologische Gründe und viele Emotionen dazu”, weiß der Architekt aus Erfahrung.
Dennoch entstehen am Berg immer wieder architektonische Juwele, unabhängig davon, ob Neu- oder Umbauten. „Es findet durchaus ein Umdenken statt, welche Elemente am Berg sinnvoll sind. Oder auch nicht”, findet Madritsch. Die neuen Gebäude werden ökologisch immer wert(e)voller, die Energieversorgung spielt eine Rolle, Wasserversorgung und Heizen wird in die Zukunft gedacht: „Früher hat es viele Möglichkeiten noch gar nicht gegeben. Hütten waren primär als geschützter Unterschlupf gedacht, jetzt hat man in Bezug auf Materialien und Infrastruktur viel mehr Alternativen.”
Bauen in diesen Höhen war und ist bestimmt von der Transportfrage. Alte Hütten waren – aus Gründen – vorrangig mit Steinen aus der Umgebung gebaut, große Transporte aus dem Tal waren damals weder leistbar noch überhaupt machbar. Moderne Transportgeräte wie Helikopter oder vorgefertigte (Holz)Konstruktionen haben das umgekehrt. Madritsch: „Die Gesellschaft, die Bauform und die Art zu bauen haben sich verändert. Das sieht man auch am Berg. Die Mittel sind andere, die Ideen sind andere. Deshalb finde ich auch neu gebaute Hütten interessant, weil sie all diese modernen Aspekte an Ökologie aber auch Ökonomie mit einfließen lassen können. Weil Hütten derart exponiert sind, gilt es ganz genau aufzupassen, wie man baut und das ist gut so.”
Von oben für unten lernen
Viele der (technischen) Errungenschaften der letzten Jahr(zehnt)e, haben das Bauen am Berg erleichtert. Doch kann man auch vom Berg fürs Tal lernen? „Ich würde sagen, die Reduktion aufs Wesentliche”, so Reinhard Madritsch: „Man kann da oben nicht einfach irgendwas bauen. Man baut, was sich ausgeht und was man wirklich braucht.” Es geht um durchdachte Planung, Platzminimierung statt -verschwendung, um einen achtsamen Umgang mit der Umgebung, Ökologie, die Nutzung von Photovoltaik oder Grauwässern. Das alles passiert auf dem Berg fast naturgemäß. Im Tal scheint vieles davon vergessen, findet Madritsch: „Weil es in der Höhe schwieriger ist zu bauen und man sich penibel-genau überlegen muss, wie man vorgeht, ist das Bauen am Berg vielleicht ein bewussteres. Man fragt sich immer: Muss das sein? Vielleicht sollten wir das im Tal auch öfter tun.”
Text: Marina Bernardi
Fotos: IDM / Finn Beales