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Life

Alle guten Geister

23.1.2023

Matthias Bernhards Atelier befindet sich in einer umgebauten Scheune am Fuße des berühmten Hahnenkamms, vor der Tür landen Paragleiter, drinnen wurde früher einmal Squash gespielt, man erahnt das noch an ein paar verblassten Markierungslinien. Auf kuriose Weise scheint Kitzbühel sogar hier seinen Ruf als Sportstadt zu verteidigen, wir werden darauf noch zu sprechen kommen. Im malerischen Universum von Matthias Bernhard gerät das aber erst einmal in Vergessenheit, denn dieses Universum quillt geradezu über vor Farbgebirgen und Formgeflechten, die manchmal auch über den Bildrand hinauswuchern oder sich Schicht für Schicht zu reliefartigen Objekten auswachsen. Was sich aus der Distanz betrachtet als abstrakte Malerei ausgibt, gibt in der Nahsicht immer wieder figurative Einsprengsel preis: Da und dort starrt einen aus bunten Farbhaufen heraus ein comicartiges Augenpaar an, anderswo tauchen in die Farbmassen verwobene Alltagsfundstücke auf. 


Von Farbbeulen und Kalligraphie


Hier ist unverkennbar jemand am Werk, der die Farbe als vielfältig formbares Material begreift, manchmal bearbeitet er sie auch mit dem Heißluftföhn, dann entstehen hartgesottene Farbbeulen, die wie Schaumstoffgebilde aussehen. Anderswo kommt die Malerei von Matthias Bernhard fast durchscheinend und kalligraphisch, aber auch dann noch als dichtes Geflecht daher. Auch während es Gesprächs lässt er den Blick prüfend darüber wandern: Ein Bild sei für ihn dann fertig, wenn es nichts mehr von ihm wolle, sagt der Künstler, Jahrgang 1985, der das lange Haar zum Dutt zusammengebunden trägt, aber nicht so wirkt, als wolle er damit den Hipster markieren. Der Hang zur langen Haartracht scheint vielmehr genauso in der Familie zu liegen wie der Hang zur Kunst, der Beweis dafür heißt Maximilian Bernhard, ist der fünf Jahre jüngere Bruder des Malers, seinerseits in der Bildhauerei zuhause und derzeit ein vielbeachteter Newcomer auf dem Kunstparkett. Denn auch er ist ein ziemlich eigenwilliger Arbeiter am Material, wenn er etwa Tonbatzen mit Druckstücken bearbeitet, kommen dabei Skulpturen und Objekte heraus, die an altertümliche Artefakte erinnern, zugleich aber auch eine höchst gegenwärtige Sprache sprechen. 


Ins Atelier seines Maler-Bruders ist Maximilian Bernhard an diesem Tag als Besucher gekommen, vor kurzem haben die beiden hier aber erstmals auch an einem gemeinsamen Projekt gearbeitet. Es war noch dazu ein Heimspiel, nämlich ein Kunst-am-Bau-Projekt für eine Wohnanlage in Reith bei Kitzbühel, wo beide dereinst die Schule besucht haben. Und es war eine gute Gelegenheit, ihr Verständnis von Kunst zu demonstrieren, die für sie bestenfalls ein „integrativer Bestandteil des Alltags“ und keine dem Leben enthobene Disziplin ist. Entstanden ist eine tribünenartig aufgebaute Aussichtsplattform, die als Begegnungsort für die Bewohner genauso wie als autonome Skulptur und skurril-bunte Bilderwand fungiert. Diese Wand ist aus einzelnen Betonplatten zusammengesetzt, die die Künstler jeweils individuell gestaltet, gefärbt und gegossen haben und die für sie auch so etwas wie die „guten Geister“ des Wohnbaus darstellen. 


Anfänge in der Schnitzschule


Wie selbstverständlich verschränkten die Brüder dabei auch die unterschiedlichen künstlerischen Gattungen, in denen sie unterwegs sind, die sie aber ohnehin nicht als streng eingezäunte Gärtlein begreifen. Höchst unterschiedlich waren aber in der Tat ihre Wege zur Kunst: Den Älteren, Matthias Bernhard, verschlug es schon vor Jahren nach Wien, wo er zunächst ein Kunstgeschichte-Studium begann, um dann bei Gunter Damisch an der Akademie der bildenden Künste Malerei zu studieren. Maximilian Bernhard besuchte zunächst die Schnitzschule in Elbigenalp, um danach für einige Jahre auf Reisen zu gehen und in Australien als Tischler zu arbeiten. Nach seiner Rückkehr ging er an die Kunstakademie Karlsruhe und studierte Bildhauerei bei Harald Klingelhöller. Das Holz habe er, so der seither in Deutschland lebende Bildhauer, „dann erst einmal beiseitegeschoben“, es entstanden unter anderem Arbeiten aus Draht und Gips, die entfernt an die informellen Plastiken eines Oswald Oberhuber erinnern, aber auch selbstbewusst eigene Wege einschlagen. „Ich komme aus dem Handwerk“, betont Maximilian Bernhard gern und bekräftigt damit, dass das auch seinen Umgang mit dem Material bestimme. „Am Anfang steht die Entscheidung, welches Material ich verwende und wie damit umzugehen ist. Beton ist ganz anders zu verarbeiten als Ton“. 


Kitzbühel schwingt immer mit


Beim Maler Matthias Bernhard ist es wiederum auch die Umgebung, mit der seine Bilder während des Entstehungsprozesses korrespondieren: Licht, Raum, Perspektive malen gewissermaßen mit, umso mehr, seit er seinen Arbeitsschwerpunkt mit Ausbruch der Corona-Krise wieder verstärkt von Wien nach Kitzbühel verlagert hat. Besonders hier lasse er seine Bilder „oft ganz bewusst nach Außen wandern und setze sie etwa in Beziehung zu den kollektiv eingebrannten Panoramen Alfons Waldes oder des Wilden Kaisers“, so der Maler, der seine Impulse auch aus der Kunstgeschichte schöpft: Es gibt Bezüge zur Art Brut, zum expressiven Gestus und der intensiven Farbigkeit eines Franz Ringel, zu den amerikanischen Expressionisten und auch anderen Strömungen, auf die Bernhard in seiner eigenen, auch mit popkulturellen Bezügen gespickten Welt referiert. In dieser Welt spielen auch die von ihm gestalteten Künstlerbücher und die Sprache eine gewichtige Rolle. Manches Gekritzel an den Atelierwänden ist später zum Bildtitel geworden, zum Beispiel „Die Abfahrt – Im Land, dort wo es Leben gießt“, mit dem der Künstler augenzwinkernd auf Max Beckmanns Triptychon „Die Abfahrt“, aber natürlich auch auf Kitzbühel Bezug nimmt. In diese Arbeit, die sich wie auch manch andere nicht um herkömmliche Bildformate schert, hat er Luftmatratzen-Reste genauso eingearbeitet wie einen Teil einer Transportkiste, in der sein Bruder Maximilian einst seine Habseligkeiten von Australien zurück nach Österreich verfrachtet hat. 


Es braucht aber nicht zwingend konkrete Bezüge, damit die Bernhard Brothers in Ausstellungen gemeinsame Sache machen. Sie tun das ohnehin immer wieder gerne. Dass in ihren Untersuchungen an Material und Form immer wieder persönliche, ironische oder historische Erzählungen ausapern, ist eine hübsche, wenn auch weit gedachte Klammer. Beide stehen jedenfalls auch dafür, dass der berühmte und bis heute bestens verkäufliche klassisch moderne „Schneemaler“ Alfons Walde längst nicht mehr das einzige künstlerische Aushängeschild der Gamsstadt ist. Auch wenn es manchmal so aussieht und auch so vermarktet wird. „In Kitzbühel könnte die Kunst eine wichtige Rolle spielen, aber es dreht sich alles um den Sport“, sagt Matthias Bernhard, der diesbezüglich zuletzt gemeinsam mit Wolfang Capellari gegengesteuert hat. Die beiden Künstler organisierten zum 750. Stadtjubiläum eine Ausstellung im Museum Kitzbühel, die eine ganze Reihe von zeitgenössischen Kitzbüheler sowie eng mit der Stadt verbundenen Künstlerinnen und Künstlern versammelte. Der Ausstellungstitel „Arbeitstitel Kunstbühel“ war durchaus als Ansage zu verstehen, die darin gezeigten „Heimgeister“ von Matthias Bernhard und die von Maximilian Bernhard zu witzigen Trash-Skulpturen verarbeiteten Ski-Pokale aus dem Familienkeller vielleicht auch. In jedem Fall stellt das von Stefan Klampfer gestaltete Katalogbuch eine bemerkenswerte Anthologie der Kitzbüheler Gegenwartskunst dar. 


‍Text: Ivona Jelcic
‍Fotos: Andreas Friedle
‍Aus: Tirol Magazin #101


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